Über Freundschaft und Bruderschaft
Liebe Leser,
Beziehungen zu unseren Mitmenschen prägen unser gesamtes Leben. Vom ersten Tag unseres Lebens an begegnen wir anderen Menschen. Zu unseren Eltern, Geschwistern und Verwandten besteht von vornherein eine besondere Beziehung, die sich nicht erst ausbilden muss. Wir treten aber noch mit vielen weiteren Menschen in Kontakt, pflegen zu den meisten von ihnen aber keine besonders hervorzuhebende Beziehung. Zu einigen allerdings bleibt ein lockerer Kontakt bestehen und zu wenigen entwickelt sich eine Freundschaft und wir nennen sie mit Recht und Ernsthaftigkeit „Freunde“. In unserem Kulturkreis entwickeln sich für jeden einzelnen von uns meist nur sehr wenige Freundschaften, die in der Regel lange bestehen bleiben. Deshalb haben sie einen ganz besonderen Stellenwert in unserem Leben.
Dabei gibt es für den Begriff Freundschaft verschiedene Interpretationen und jeder von uns versteht diesen Begriff ein wenig enger oder weiter gefasst. Aus soziologischer und philosophischer Sicht gibt es keine ganz eindeutige Definition für den Begriff „Freund“. Das liegt daran, dass sich dieser Begriff wie viele andere im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt hat und es regionale und kulturelle Unterschiede bei der Definition gibt. Bezeichnet man im hier und heute als Freund einen engen Wegbegleiter, einen Lebensgefährten im Sinne des Wortes, so war es im Mittelalter der Kampfgenosse in der Schlacht. Bei den alten Römern fand man Freunde oft als politische Weggefährten und das Verständnis von Freundschaft bei den alten Griechen drehte sich vor allem um das Geben und Nehmen meist materieller Dinge. Gleichwohl erkannte Aristoteles schon damals die Unterschiede zwischen Zweck- und Nutzenfreundschaften, Lustfreundschaften und Tugendfreundschaften und beschrieb sie in seinem Werk Ethica Nicomachea. Er unterteilt Freundschaft in die Freundschaft unter Gleichen, also zwischen ebenbürtigen, gleichgestellten Bürgern, und die Freundschaft unter Ungleichen, etwa in hierarchischer Beziehung zueinander stehenden Menschen. Die Freundschaft unter Ungleichen ist dabei eher von einer Art Ehrerbietung geprägt, bei der der hierarchische Unterschied etwa zwischen Vater und Sohn oder Staat und Bürger dadurch ausgeglichen wird, dass der Standesniedrigere dem Höheren mehr Respekt entgegenbringt als umgekehrt.
Die Freundschaft unter Gleichen unterteilt Aristoteles wie schon erwähnt weiter in Nutzen-, Lust- und Tugendfreundschaften – eine Einteilung die sich in gewisser Hinsicht auch auf die heutige Zeit anwenden lässt. Freundschaften, die auf Nutzen oder Lust basieren, bringen die Menschen nur für einen gewissen Zweck zusammen. Fällt dieser Zweck weg, ist die Freundschaft gefährdet. Die Tugendfreundschaft dagegen ist eine Freundschaft der Freundschaft wegen und basiert auf charakterlichen Gemeinsamkeiten. Es kommt hier nicht darauf an, aus der Freundschaft einen bestimmten Nutzen zu ziehen.
Für mich sind Freunde Menschen, denen ich vertrauen kann, denen ich mich anvertrauen kann, die mir ohne Bedingungen zur Seite stehen, von denen ich eine ehrliche Meinung erwarten kann. Mir geben Freunde das Gefühl, nicht allein durch diese Welt gehen müssen, sondern immer jemanden zu haben, mit dem ich die guten Zeiten genießen und notfalls schlechte Zeiten gemeinsam durchstehen kann. Selbstverständlich beruhen die eben geschriebenen Dinge auf Gegenseitigkeit. Freunde sind aber auch Menschen, mit denen man seine Zeit gern verbringt, einfach so, um der Gesellschaft der anderen Willen. Der Austausch, die Diskussion mit und die Kritik von einem Freund findet bei mir besonderes Gehör, da ich mir sicher sein kann, dass Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und gute Absicht hinter den Äußerungen stecken.
In der Loge pflegen wir noch eine besondere Beziehungsform zu unseren Mitmenschen: die Bruderschaft. Im Deutschen Freimaurerlexikon von Dosch heißt es: „In der Weltbruderkette ist jedes Mitglied des Freimaurerbundes der Bruder des anderen. Jeder Bruder kann vom anderen eine brüderliche Behandlung und ein entsprechend menschliches Entgegenkommen erwarten.“ Ergänzend dazu heißt es in den Grundsätzen der Schweizer Großloge Alpina:
„Die Freimaurer bekennen sich als Brüder und sehen ihren Bund als einen von Brüdern. Es ist ihre Pflicht, Gefühle der Brüderlichkeit und Gleichheit in den eigenen Reihen und mit den anderen zu pflegen und zu verstärken. Der Bund nimmt freie Männer von gutem Ruf auf, die sich brüderlich versammeln, um an ihrer Vervollkommnung zu arbeiten.“
Doch was ist ein Bruder? Es gibt da natürlich die familiäre Bedeutung für einen männlichen Blutsverwandten. Im religiösen Bereich und in der Loge wird der Begriff aber für „nahestehende Personen“ gebraucht, mit denen eine besondere Zusammengehörigkeit besteht. Das was Freimaurerbrüder miteinander verbindet, liebe Leser, ist nicht nur der lebenslange Bund, sondern auch der freimaurerische Wertekanon. Er besteht im Wesentlichen aus Menschenliebe, Toleranz, Brüderlichkeit und konsequenterweise aus den Werten, die sich aus den Leitsprüchen unserer drei Grade
Schau in dich.
Schau um dich.
Schau über dich.
ergeben. Dieser Wertekanon hat mich vor der Aufnahme in die Freimaurerei als interessantes Konzept fasziniert und ich bin mit ihm vertraut geworden, während ich mich als Lehrling, Geselle und junger Meister mit den Grundlagen der Freimaurerei beschäftigt habe. Wir Freimaurerbrüder versuchen, mehr oder weniger streng danach zu leben und sich in der Welt als Freimaurer zu bewähren.
Brüder sind dabei wie Geschwister: man kann sie sich zum einen nicht aussuchen, ist aber dazu angehalten, mit ihnen einen vernünftigen Umgang zu pflegen. Ob das klappt, ist dabei auch nicht immer garantiert. Geschwister gehören aber zur Familie und man fühlt sich mit Ihnen verbunden. Auch wir Freimaurerbrüder sind verbunden durch die Kette der Herzen.
Es ist in der Bruderschaft nicht selbstverständlich, aber dennoch wünschenswert, dass sich zwischen Freimaurerbrüdern echte Freundschaften ausbilden. Jeder Freimaurerbruder darf sich darauf freuen, Brüder zu haben und noch kennen zu lernen, die auch Freunde werden.
Es wird in einer von freimaurerischen Werten geprägten Welt, einer Welt von Brüdern, mit Sicherheit nicht nur Freundschaft geben. Menschen sind dafür zu unterschiedlich, jeder hat seinen eigenen Charakter und nicht zu jedem Mitmenschen stellt sich ein Gefühl innerer Verbundenheit ein. Hielte sich jedoch jeder an das erste der zehn freimaurerischen Gebote
Du sollt deinen Mitmenschen – unbeschadet seiner Religion, Nationalität, seines Standes und seiner Lebensgewohnheiten – als deinen Nächsten und Bruder ansehen
wäre Feindschaft in meinen Augen jedenfalls ausgeschlossen.
Mir ist ernsthafte Feindschaft persönlich bisher nicht begegnet. Doch spüre ich, dass durch Vorurteile, Unkenntnis, Intoleranz und Selbstsucht viel Feindschaft unter Mitmenschen entstehen kann. Die fast täglichen Nachrichten über Ausländerhass, die Verachtung von Behinderungen und anderer Rassen zu Zeiten des Nationalsozialismus und die vergangenen Jahrhunderte kriegerischer Auseinandersetzungen in Europa und dem Rest der Welt lehren uns dies.
Besinnen wir uns also auf unsere Werte, auf die Brüderlichkeit, auf die Freundschaft innerhalb der Weltbruderkette und darüber hinaus.
Schließen möchte ich meinen Beitrag mit einem Gedicht von Simon Dach (1605 – 1659), das sich auch im Liederbuch der Großloge Royal York findet.
Lied der Freundschaft
Der Mensch hat nichts so eigen,
So wohl steht ihm nichts an,
Als dass er Treu erzeigen
und Freundschaft halten kann;
Wann er mit seinesgleichen
Soll treten in ein Band,
Verspricht sich nicht zu weichen,
Mit Herzen, Mund und Hand.Die Red‘ ist uns gegeben,
Damit wir nicht allein
Für uns nur sollen leben
Und fern von Leuten sein;
Wir sollen uns befragen
Und sehn auf guten Rat,
Das Leid einander klagen,
So uns betreten hat.Was kann die Freude machen,
Die Einsamkeit verhehlt?
Das gibt ein doppelt Lachen,
Was Freunden wird erzählt.
Der kann sein Leid vergessen,
Der es von Herzen sagt;
Der muss sich selbst zerfressen,
Der in geheim sich nagt.Gott stehet mir vor allen,
Die meine Seele liebt;
Dann soll mir auch gefallen,
Der mir sehr herzlich gibt;
Mit diesen Bundsgesellen
Verlach‘ ich Pein und Not,
Geh‘ auf den Grund der Höllen
Und breche durch den Tod.Ich hab‘, ich habe Herzen
So treue, wie gebührt,
Die Heuchelei und Schmerzen
Nie wissentlich berührt;
Ich bin auch ihnen wieder
Von Grund der Seelen hold,
Ich lieb‘ euch mehr, ihr Brüder,
Als aller Erden Gold.
(verfasst von P.S.)
Quellen und weiterführende Artikel:
Aristoteles – Ethica Nicomachea (auf textlog.de)
Homepage der Schweizer Großloge Alpina – Rubrik „Grundsätze“
Homepage der Großen Loge Royal York zur Freundschaft