„Gedanken eines Suchenden“
„Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“
(Aus „Faust, Der Tragödie erster Teil“ von Johann Wolfgang von Goethe)
Was ist es, was wir aus diesen kurzen Zeilen entnehmen können? Nun, es mag für Einige nur ein Teil des Dialoges zwischen Mephistopheles und „dem Herrn“ aus Goethes „Faust“ sein. Aber was kann sich noch viel mehr dahinter verbergen? Für mich selbst ist es das „miteinander reden“, dass „wie rede ich mit meinen Mitmenschen“. Was ich vermisse, ist eine Diskussionskultur. Es wird viel gesagt und viel gestritten. Und es scheint manchmal, als gebe es keine „Deine Meinung und meine Meinung“ mehr, sondern nur noch ein „Und bist Du nicht für mich, so bist Du gegen mich!“
Ich habe Goethes Faust oft gelesen. In der Schule war es Pflicht. Später kannte man dieses Werk und konnte Zeilen zuordnen oder vielleicht sogar wiedergeben. Seit ich mich mit der Freimaurerei beschäftige, erkenne ich allerdings so viel mehr zwischen den Zeilen. Etwas, was mir vorher verborgen schien, obwohl es immer offen vor mir lag und ich es nur erkennen musste.
Wenn ich nun über diese Zeilen von Goethe nachdenke, dann kann ich daraus viel entnehmen. Es gibt oftmals Zeiten oder Angelegenheiten, wo wir nicht einer Meinung mit unserem Gegenüber sind. Vielleicht sind wir auch völlig entgegengesetzter Meinung. Aber, muss dies immer negativ sein? Muss es immer schlecht sein, was der Andere denkt?
Vielleicht hilft es, wenn wir fragen: „Warum siehst Du das so?“ Wir wissen nicht, was der Andere erlebt hat und welchen Weg unser Gegenüber ging. Was es war, dass seine Meinung so geformt hat. Es gibt seine Wahrnehmung und unsere Wahrnehmung. Niemand hat die selbe Wahrnehmung. Sie ist immer individuell und wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Warum also sollten wir davon ausgehen, dass unser Gegenüber genau das Selbe wahrnimmt wie wir?
Anstatt sich in scheinbar endlosen Diskussionsspiralen zu verlieren, wäre es dann nicht hilfreicher nach den Hintergründen zu fragen? Und schließlich, wenn wir doch unterschiedlicher Meinung sind und den Gegenüber nicht verstehen, weil wir ihn nicht verstehen können: Was bleibt ist das „Wie rede ich mit meinem Mitmenschen“. „… Es ist gar hübsch von einem großen Herrn, so menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“
Auch wenn wir anderer Meinung sind, sollten wir vielleicht den „Teufel“ doch menschlich begegnen. Wir kennen seine Fußspuren nicht, sind nie „in seinen Schuhen“ gelaufen. Tut es weh, sich die Meinung eines Anderen anzuhören? Tut es weh, dem Anderen trotz verschiedener Ansichten mit Respekt zu begegnen? Vielleicht wachsen wir sogar daran. Vielleicht erkennen wir mehr Wahrheit. Auf jeden Fall bekommen wir mehr Denkanstöße um unsere eigene Meinung zu wiegen.
In eines jeden Menschen Brust schlägt eines Menschen Herz. Und der Puls eines jeden Herzens, egal welcher Nationalität, welcher Religion, welcher Gesinnung oder welcher Philosophie verbindet eines Menschen Herz mit dem Herz des anderen Menschen. Der Puls ist das bindende Glied und die Menschen finden sich in einer Kette.
Wenn wir mit unseren Mitmenschen als „große Herrn“ gar „hübsch“ reden, auch wenn wir in ihnen den „Teufel“ erkennen (wollen), so tut es nicht weh. Viel mehr noch, wir zeigen, dass wir bereit sind zu diskutieren. Eine „Diskussionskultur“ zu pflegen. Vielleicht fehlen dem Anderen auch Informationen, vielleicht konnte er gewisse Sachverhalte nicht erkennen. Wir können auf jeden Fall neue Denkanstöße geben. Und auch wenn wir mit unserem Mitmenschen nicht auf einen Nenner kommen, so können wir immer noch sagen: „Danke, dass ich meine Gedanken mit Dir teilen durfte.“
Und wir können mit Beispiel vorangehen, um zu zeigen, dass Toleranz eine wichtige Säule im „Miteinander“ ist. Wer vermag mit absoluter Bestimmtheit zu sagen, was die Wahrheit ist?
von A.S. (Ein Suchender)