„Gedanken eines Suchenden II“

„Gedanken eines Suchenden II“

Sapere Aude!

Abenddämmerung. Ein suchender Wanderer sitzt im Wald auf der Wurzel eines alten Baumes und beobachtet eine Eule. Führt einen Monolog.

Ach, sehe ich, … die Menschen.

Vielmehr noch,

höre ich, … der Menschen Wort.

Was fürchtet Euch so sehr?

Versteckt Ihr Euch vor der Flut an Nachrichten?

Ängstigt Euch Euer eigenes Wort?

Ertragt Ihr nicht die Stimme Eurer Gedanken?

Sag mir liebe Eule, weißt Du was dem Menschengeschlechte mangelt?

Treibt die Masse der Gedanken Euch in die Enge?

So sagt mir doch, … was es ist!

ES IST!

und das könnt Ihr schwer leugnen.

Habet Mut!

Nutzt Euren Verstand!

Diese Freiheit wurde hart erkämpft.

Das Instrument des Klavierbauers und des Arztes musiziert nicht mehr auf grausige Weise.

Ihr dürft Euch Eures Verstandes bedienen.

Oder macht Euch die Silbe Ver- gar Angst?

Seht Ihr in dem Ver- die Assoziation zu

Verdammnis, Versagen, Vernichten, Vertreiben, Verhungern, Verbrennen

und was auch sonst noch aus den Tiefen des Schlundes empor kraucht um Euch zu peinigen?

Wollt Ihr denn nicht lieber auch

Verlieben, Verwöhnen, Vertrauen, Versorgen, Vergnügen, Verreisen

und all das andere Schöne sehen?

Oder ist es das -stand, was Euch Sorgen bereitet?

Nun, wenn Ihr darin

Aufstand, Missstand, Notstand, Lehrstand, Rückstand, Unverstand

seht, dann wird es recht dunkel.

Lasst Licht herein und erkennt auch

Anstand, Blütenstand, Fruchtstand, Beistand, Bestand, Ruhezustand.

Und vergesset mir nicht die Standhaftigkeit!

Ihr brauch den Verstand nicht fürchten!

Sapere Aude!

 

Treiben Euch vielleicht die Gedankengeister einen Spuk,

so dass Ihr des Verstandes müde seid?

Lasset Gedanken ziehen,

haltet nicht fest daran und erkennt sie als einen Teil von Euch.

Gedanken sind des Verstandes Frucht.

Der Verstand ist ein Baum, welcher seine Äste und Wurzeln nach allen Seiten strecken will.

Will greifen und fassen,

wenn man ihn den wachsen lässt

und nicht gleich einem Zierbaum … unnötig beschneidet.

Lasst Platz damit er Euch über den eigenen Horizont wachsen kann,

damit ihr denn dahinter Neues und Schönes findet und Vorurteile abwerft.

Habt Mut Euch der Gedanken zu bedienen.

Doch seid auch gewarnt, dass Ihr Eure Gedanken wohl pflegt.

Denn aus Gedanken werden Worte,

welche schließlich Taten werden.

Darum achtet, dass Ihr Eure Worte wohl weise wählt.

Ein einziges Wort hat Macht!

Es kann Elend … aber auch viel Freude bereiten.

Es kann noch nach Dekaden wirken!

Doch um weises Wort zu sprechen,

will weise gedacht werden!

Und dazu bedarf es des Verstandes.

Sapere Aude!

 

Und auch den Verstand wisset weise einzusetzen.

Es ist nicht nur eine Freiheit den Verstand zu nutzen und dies zu dürfen,

es ist auch eine Verpflichtung!

Eine Verpflichtung die einlädt,

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität

anzustreben und dies auch zu Leben.

Eine Verpflichtung des Miteinander!

Eine Verpflichtung des Füreinander!

Eine Verpflichtung … die Hand in Hand gehen möchte!

 

Doch dafür braucht es den Mut sich selbst zu befreien! …

Ist es so angenehm, wenn Andere die Arbeit tun?

Man sich selbst in Honig wälzt und nur noch mit verklebten Fingern nach den Trauben greifen muss.

Wenn man sich nicht die Arbeit macht selbst Meinung zu bilden,

lässt es sich doch so schön nachplappern.

Wenn so viele es sagen, muss es ja stimmen.

Also wird sich lieber auf dem Schoß der Bequemlichkeit geräkelt.

Und wütend Wort zu schmettern ist auch viel einfacher als nach den Hintergründen zu fragen.

Doch das Dröhnen und Toben solcher Worte ist wie der Schlag tausender Kanonen!

Aus Kanonen kamen aber noch nie Licht und Tauben.

Denn jede Kanone … und ist sie auch nur aus Lippen geformt … bringt Elend.

Deswegen wählt die Worte weise, damit sie wirken wie Licht!

 

 

Ach, wie wird mir bange, … muss ich doch sehen,

wie manch Verstand doch so vertrocknet.

Genügsamkeit und die Abgabe an Verantwortung sind ein

geworfener Ast in die Speichen des Verstandesrades.

Salomon reicht die Hand, sie muss nur gefasst werden.

 

Doch vulgus profanum ergötzt sich an banalen Dingen

will die Märchenwelt.

Doch um sie zu haben muss man Ritter sein.

Und wenn es nicht reicht Anderen ein edler Ritter zu sein,

so muss man sich selbst erst Ritter sein.

Heißt es doch die eigene Prinzessin zu erretten, das Zarte ins Grobe zu holen.

Und braucht es auch den Mut sich der Drachen zu stellen.

Der eigenen Drachen.

Sapere Aude!“

 

Die Eule hüpft näher und schaut lieb mit großen Augen.

 

Seht nur diesen Bach da drüben!

Wie er sich blubbernd, gurgelnd, sprudelnd vorwärts schiebt.

Auch ihm gestehe ich volle Weisheit zu die er zu nutzen weis.

Begann er als kleine Pfütze, so drängte ihm doch nach mehr und tut es immer noch.

Wo einst kantiges Geröll den noch nicht gegangenen Weg bedeckte,

so sind jetzt im Bette geschliffene runde Steine.

Sie sind noch nicht perfekt. Und werden weiter geglättet.

Der Bach hatte den Mut sich den Weg zu suchen.

Er weis nicht von der Dauer, die ihn ans Ziel bringt.

Aber er arbeitet unermüdlich weiter.

Und da! …

Da wo sein Weg schon ist, da sind nicht nur liebliche Kiesel…

auch das Umgebende wurde Frucht seiner Arbeit.

Nicht nur auf seinem Weg schenkte er Leben, bot Platz für Neues was sich in Harmonie zueinander fügt…

Mehr noch! …

Auch links und rechts gab er erquickendes Wasser, damit sich Neues schuff.

Er gibt nicht auf,

er lässt teilhaben an seinem Weg.

Und auch er ist der Quell für diesen Baum, welcher mir jetzt ein Stück Tempel sein darf.

So sollte es sich auch mit dem Verstande verhalten.

Nicht eigennützig soll er sich bedienen.

Soll auch der Quell für andere sein!

Damit sich alles in Harmonie zusammenfügt.

sich die Hände reicht zu einer Kette!

Hände, denen es egal ist,

welcher Stände, Religion, Kultur, Gesinnung und Sonstigem sie sind.

 

Nun, … nennt mir die Monster, welche Euch die Freiheit des Verstandes fesseln.

So will ich Euch Bruder sein.

Will Euch helfen die Knoten und Seile der Fessel

zu zerreißen, zu zerbeißen.

Lasst uns den Bach ein Vorbild sein!

Will ich Euch meine Hände reichen damit wir gemeinsam helfen an des Baches Arbeit!

Und sind wir auch alle rauhe Steine, … so rauh wie einst das Geröll vor dem Bach…

Wenn man rauhe Steine nur recht passend zusammenfügt,

so kann auch daraus ein schönes Gebäude entstehen.

Und die gemeinsame Arbeit und die Zeit glätten unseren Stein.

Ein jeder arbeitet an seinen Kanten und Ecken,

und dient als Vorbild und Lehrmeister dem Anderen.

Um zu zeigen wie Ecken und Kanten geglättet werden können.

Und schließlich, …

Eines Tages …

Wird aus dem rauhen Gebäude…

ein glatter Tempel.

Er soll uns Humanität heißen.“

 

Die Eule schüttelt sich und eine Feder fällt auf den Schoß des suchenden Wanderers.

 

Nun Eule, …

Du hast Recht.

Es wird Zeit zu der Arbeit zu gehen!

Gabst mir ein Ohr.

Ich will meinen Weg fortsetzen.

Da am Horizont weis ich mein Ziel.

Weis um des Baches Quelle.

Darin will ich nicht nur meine Hände und meinen Kopf benetzen,

auch laben will ich mich.

Um schließlich der Quelle eine Kraft zu sein und mich anschließen an die Kette.

Doch ein Stück Weg will noch gegangen sein.

Bis zwischen den ehernen Säulen meine drei Schläge ertönen.

Da wo die Quelle ist.

Da wo der Mensch dem Menschen einfach nur Mensch ist.

Wo ein Fundament des Tempels der Humanität liegt.

Da, wo ich schon von der Quelle kosten durfte

und es mich nun nach mehr dürstet.

Weisheit … Stärke … Schönheit

Sapere Aude!

Nur ein Gedanke.

Gedanke

Ich geh… Danke!“

 

Und der suchende Wanderer erhebt sich mit der Morgendämmerung.

Blickt nach der aufgehenden Sonne im Osten.

Ein Lächeln.

 

A.S.