Selbstreflexion und Konsequenz

Ehrlichkeit zu sich selbst und damit vielleicht auch im weitesten Sinne indirekt zu euch, kann unangenehm und schmerzhaft sein, doch kann sie einen Weg ermöglichen, der einen weiter führen kann, auch wenn dieser Weg noch nicht sehr klar zu sehen ist.
Seit dem ich nun mittlerweile etwa eineinhalb Jahren Lehrling in einer Loge der Freimaurer bin, fühle ich mich persönlich noch nicht dem Gesellen berufen. Denn ein Geselle hat die Stufe eines Lehrling mehr oder weniger erfolgreich absolviert. Das bedeutet für mich, dass der Lehrling die Werkzeuge seines Handwerks, der Freimaurerei, kennen gelernt hat und damit soweit Erfahrung sammeln konnte, dass er sie anwenden und gebrauchen kann. Der Lehrling sollte wissen, welche Werkzeuge des Lehrlings wie zu handhaben sind. In den entscheidenden Momenten sollte er sich daran erinnern, dass er durch das Gelernte, also, den Gebrauch der passenden Werkzeuge, seinen Blick als auch sein Verhalten erweitern kann. Dann kann er damit die nächste Stufe, die des Gesellen, ermöglichen.
Ich, als Lehrling, fühle mich doch eher immer noch mehr als Suchender als ein Geselle. Ich habe von manchen Werkzeugen gehört. Ich hatte sogar schon einige wenige in der Hand. Viel wurde in Erzählungen benannt, aufgezählt und wiederholt. Aber ich verstehe und fühle es kaum. Ich weiß nicht, wie die Vielzahl dieser rezipierten Werkzeuge tatsächlich funktioniert. Manchmal rauschen die Benennungen der Funktion der Werkzeuge an mir vorbei und ich bemerke, wie ich es höre aber nicht verinnerlichen kann.
Manchmal habe ich das Gefühl, mit dem Geist der Vergangenheit zu sprechen. Dieser Geist lobt sich aufgrund seiner Errungenschaften vermutlich berechtigterweise nicht selten aber auch nicht selten sehr viel. Manchmal höre ich einzelne kräftige, ermutigende Rufe, die Zukunft zu gestalten. Diese sind freilich seltener. Aber was heißt das alles im Hier und Jetzt? Soll ich mich in die Tiefen des Vergangenen stürzen und mich dort verirren? Soll ich in die Zukunft rennen ohne zu wissen wohin? Und was ist im Jetzt? Was ist für mich Freimaurerei im Jetzt? Ehrlich gesagt: Das weiß ich nicht genau. Vielleicht, weil ich Kraft der Werkzeuge der Freimaurerei noch nicht fühle.
Freimaurerei wird als königliche Kunst bezeichnet. Daraus folgt für mich persönlich, dass die Lehrjahre nicht kurz und nicht einfach sein können. Denn königliche Kunst lernt man nicht von Heute auf Morgen oder innerhalb eines Jahres. Und ein Meister einer Kunst, die auch noch königlich ist, ist wohl wahrlich EIN MEISTER. Sonst würde er nicht Meister genannt werden. In der Geistigkeit vieler tiefer und sehr alter geistiger Strömungen sind Meister sehr selten, da es sehr schwer ist, ein Meister zu werden und zu sein. Oft haben Meister viele Schüler, die vom Meister viele Jahre lang lernen. Als Kind und als Jugendlicher sehnte ich mich stets nach einem Meister, der mich forderte und förderte. Ich muss gestehen, ich sehne mich heute noch immer danach. Vielleicht gibt es diesen Meister nicht? Vielleicht muss ich noch suchen? Vielleicht muss ich mein eigener Meister werden? Vielleicht liegt in jedem etwas und nicht in einem alles? Meine Partnerin sagt: „Wenn der Schüler bereit ist, zeigt sich ein Lehrer!“
Kritik an sich selbst ist Voraussetzung dafür, sich um winzigste Stücke zu erkennen und sich damit vielleicht mühselig zu erweitern. Die Selbstkritik hilft, den Weg dahin, also zum wohl nie endenden Erkennen des Selbst, zu beschreiten. Nun habe ich als Lehrling den Schritt gewagt. Oder besser gesagt, ich habe gesagt oder gemeint, diesen Schritt tun zu wollen. Und schon nach wenigen Momenten kommen mir Zweifel, ob der Weg unter den aktuellen Umständen der richtige ist? Woher soll ich das wissen? Kann ich das überhaupt wissen? Was sagt mein Gefühl?
Wo kann man seinem Gefühl am besten begegnen? Wo ist es am wenigsten getrübt? Wo ist es am schonungslosesten zu einem selbst? Wo kommt es am überraschendsten? Ganz klar oder poetisch oder in Rätseln verborgen? Richtig, ihr wisst es bereits. Denn jeder von euch kennt es und jeder nutzt es. Bewusst oder Unbewusst. Es ist der Traum.
Und ein Traum brachte die Entscheidung für mich, nicht Geselle werden zu können. Dieser Traum legte mir schonungslos offen, was ich fühle und was ist. Ein wenig verborgen, ein wenig verrätselt. Aber dennoch ganz klar.
Was träumte ich nun?
Der Traum
Ich erwachte im Traum aus dem Schlaf und als ich meine Augen öffnete sah ich viele grüne, palmenartige Bäume. Als wäre ich in einer tropischen Gegend. Ich begann ziellos umher zu laufen. Der Boden war schlammig und nass. Alsbald näherte ich mich einem großen Fluss. Dieser war wahrlich gewaltig und sehr alt. Die Ufer waren stark verwachsen. Ich konnte den Fluss nicht erreichen. Aber ich konnte erkennen, dass der Fluss selbst kein klares Wasser hatte. Das Wasser war vielmehr braun und wirkte schlammig.
Und dann fiel mir am Ufer dieser übergroße Lurch auf. Er war etwa ein bis zwei Meter lang und ebenso wie der Fluss bräunlich. Seine Haut glänzte, so feucht war sie. Es war kein besonders schöner Anblick. Der Lurch wirkten träge und faul.
Doch dieser unschöne Anblick wurde noch gesteigert, als sich dieser Lurch langsam und mühselig zu mir drehte und ich bemerkte, dass dort, wo normalerweise die Augen sind, riesige Löcher klafften. Wie große Narben. Als wären die Augen einst ausgerissen worden. Nun waren da nur noch diese großen Narben.
Dann wachte ich wirklich auf. Mein Gefühl musste ich annehmen. Das dauerte etwas.
Im Gespräch mir meiner Partnerin darüber (wir tauschen uns regelmäßig über Träume aus) empfahl sie mir, die Interpretation auch mit Hilfe der tausende Jahre alten Yoga-Kunst zu unternehmen. Und dabei insbesondere mit den drei Gunas. Das tat ich und ich verstand das folgende, was auch im übertragenen Sinne mit der Freimaurerei und zu der Sache mit den Stufen, Lehrling, Geselle, Meister, zu tun hat:
Die drei Gunas
Brahman ist die unendliche, ewige, höchste Wirklichkeit. Es ist jenseits aller Eigenschaften oder Merkmale, jenseits von Objekt und Subjekt. Die Quelle von Sein, Weisheit und Glückseligkeit.
Das, also dieses Brahman, ist die Leinwand, auf die das Maya projiziert wird. Maya ist dabei das kosmische Drama. Dieses Maya besteht aus den drei besagten Gunas. Gunas bedeutet dabei Eigenschaften. Diese drei Eigenschaften nun sind: Sattva, Rajas und Tamas.
Tamas ist im Menschen die Trägheit (niedere Instinkte) und Faulheit.
Rajas ist im Menschen die Verlangen und Leidenschaft.
Sattva ist im Menschen die Reinheit und Weisheit.
Alle drei Eigenschaften existieren im Menschen. Keine von ihnen existiert allein im Menschen. Der Unterschied zwischen Menschen liegt auch an der unterschiedlichen Ausprägung dieser Eigenschaften im jeweiligen Menschen.
Die drei Gunas (also diese drei Eigenschaften) können mit drei Räubern verglichen werden, die einen Mann im Wald überfallen. Tamas (also die Trägheit und Faulheit) als Räuber möchte den Mann vernichten. Doch Dank der Überredungskunst von Rajas, dem zweiten Räuber (also der Verlangen und Leidenschaft), wird der überfallene Mann mit Händen und Füßen an einen Baum gebunden. Dann werden ihm alle seine Schätze abgenommen. Nach einiger Zeit kommt Sattva (also die Reinheit und Weisheit) als dritter Räuber und befreit den überfallenen Mann von den Fesseln und führt ihn sanft aus dem Wald hinaus.
Tamas (also die Trägheit und Faulheit) möchte den Menschen zerstören.
Rajas (also der Verlangen und Leidenschaft) bindet ihn an die Welt und beraubt ihn seiner spirituellen Schätze.
Sattva (also die Reinheit und Weisheit) stellt ihn ein, auf den Weg zur Freiheit.
Tamas muss durch Rajas und Sattva überwunden werden. Doch letztlich muss auch Sattva überwunden werden, damit der Mensch frei sein kann.
von F. Z.