Das gelbe Licht

Das gelbe Licht

Am Fluss entlang lief ich von Osten nach Westen. Heiter war mir und mein Herz voller Freude. Es war Abenddämmerung und alles war gelb durchflutet. Zuvor hatte es gewittert und dabei auch gehagelt. Die Tageswärme wich einer angenehmen Frische und die kurz vor dem Untergang stehend Sonne erschien zum zweiten Mal an diesem Tag durch die abziehende, dunkle Gewitterfront hindurch. Die Zeit krümmte sich. Es war kurz vor Windstille.

Wanderer
Wie ist es mir so warm und doch so kühl vor Klarheit? Mein Herz ist so rein und ich fühle es wie nie zuvor. Wie ist mir?

Abziehender Wind
Ich flüstere dir mit sterbender Stimme, dass dieser Moment, dessen es nur wenige im Leben gibt, dich für immer begleiten soll. Ich flüstere dir ein Geheimnis und offenbare es ohne Worte. Spüre meinen Hauch der Vergänglichkeit. Ich werde bei dir sein für immer. Doch nun ziehe ich in den Osten.

Der Wind ebbt ab und nun ist es windstill.

Wanderer
Wie ist es mir? Die Zeit verkrümmt. Ich kann es nicht fassen und verstehen. Was ist es? Was krümmt die Zeit?

Die Zeit
Ich krümme mich. Ich drehe mich. Von Anfang bis Ende bin ich eins und immer.

Wanderer
Deine Worte sind Rätsel. Ich wollte, ich verstünde es. Doch kann ich nicht verstehen.

Die Zeit
Auch ich möchte dir ein Geheimnis flüstern. Verstehe es mit dem Herzen. Und nun, mach es gut. Ich drehe mich und drehe mich und drehe mich. Auf bald.

Die Zeit verlässt das gelb durchflutete Tal des Flusses. Nun ist es windstill und ohne Zeit. Es ist zeitlos.

Wanderer
Wie ist mir? Wo bin ich?

Das Gelbe Licht
Das Wann ist nicht mehr und ist im Wo ergangen. Erkenne dich im Hier und Jetzt. Ist es verschmolzen wie es einst war am Anbeginn des Universums.

Wanderer
Mir ist es bang. Ich fürchte mich. Was ist es?

Das Gelbe Licht
Der Fluss ist jung und alt zugleich. Er ist im Westen und im Osten. Vereint durch den Kreislauf des Lebens und Sterbens und Lebens und Sterbens. Die Seele ist durchfruchtet mit dem Staub der Sterne. Und jedes Atom singt das geheime Wort des Lebens und Entstehens und Vergehens und Werdens. Seit dem Anbeginn der Welt.

Wanderer
Ich fühle es. Und es ist so ewig. Es ist alles eins. Alles ist ein Ganzes. Und die Zeit. Sie steht still. Sie ist vollkommen. Und ebenso eins. Verschmolzen mit dem Hier als Ort. Eine Summe aus Wo und Wann. Wie ist es mir? Alles ist gut. Alles ist, wie es ist und sein soll.

Am Rande der Szene ist zu erkennen, wie eine Spiegelqualle sich Halbmond-ähnlich krümmt und dabei in den Himmel schaut. Denn in den Sternen sind wir geboren. Und in den Sternen werden wir untergehen um aufzuerstehen. Die Sterne selbst waren einst eins. Mit all dem anderen. Die Spiegelqualle tritt auf.

Die Spiegelqualle
Ich höre im Hintergrund die Strahlung als Melodie des Anfangs und des Endes der Welt. Wir Spiegelquallen konservieren im schwarzen Loch das Vergangene. Aus dem Wann wird somit das Wo und aus dem Wo wird das Wann. Dann gehen wir durch die Zeit wie durch Gärten aus Erinnerungen.