Was sich nicht mehr verändert, ist tot – Überlegungen zu einer zeitgemäßen Freimaurerei

Was sich nicht mehr verändert, ist tot – Überlegungen zu einer zeitgemäßen Freimaurerei

Meine Begabungen lagen nie auf dem Feld der Naturwissenschaften und so ist mir aus der Schulzeit aus diesen Fächern auch nur wenig in Erinnerung geblieben. Die Unterscheidung zwischen lebendigem Organismus und toter Materie, zwischen dem Organischen und Anorganischen ist mir aber noch erinnerlich. Und wenn ich mich recht erinnere, dann zeichnet das Leben beständige Veränderung aus. Zellen erneuern sich, ein lebendiger Organismus verändert sich in Erscheinungsform und seinen Leistungsmöglichkeiten. Ist die Fähigkeit zur Erneuerung erschöpft, stirbt er ab, er ist tot. Er ist dann bloße Materie ohne Leben.

Quelle: Freimaurer-Wiki

Von dieser Prämisse ausgehend, kann auch Freimaurerei ein lebendiger Organismus nur so lange sein, wie sie sich erneuert und dabei zwangsläufig auch verändert. Ist sie die unveränderte Doublette einer vergangenen Erscheinung, so ist sie tot und bloß noch museal.

Goethe sagt: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“.

In einer losen Folge von kurzen Artikel soll dieser Frage nachgegangen werden und der heutige Artikel soll eine Einleitung hier zu sein.

Was an der Maurerei, wie wir sie heute kennen, ist unverzichtbarer Kern, was ist Ausdruck der Zeitläufte und damit änderbar, ohne dass die Wiedererkennbarkeit des veränderten Konstruktes mit dem vorangegangenen Konstrukt Freimaurerei verloren gehen muß?

Mit dieser in loser Folge zu beleuchtenden Frage zusammen hängt die Frage, wie beschrieben und erkannt werden kann, was für die heutigen Menschen Sinn und Zweck der Maurerei sein kann und wie sie sich darstellen muss, um die Menschen, so wie sie heute sind, nicht wie sie 1717,18 117 oder 1917 gewesen sein mögen, anzusprechen und mitzunehmen. Dabei wird, zugegebenermaßen, stillschweigend unterstellt, dass die Lebenswelt in den jeweiligen Jahrhunderten eine andere war und damit auch das, was die vordringlichen Ausdruckswege der Zeit waren, mit der die Menschen jeweils versuchten, ihre Erfahrungen, Erkenntnisse, Nöte und Sorgen einander zu vermitteln.

Abhängig von der Umwelt ist die Art und Weise, wie wir uns ausdrücken, wie wir die Welt sehen, verstehen und ordnen eine je andere. Das muß sich nach Überzeugung des Autors dieser Zeilen auch in der gelebten aktuellen Freimaurerei zeigen.

In der Zeit in der die Freimaurerei in der heutigen Form entstand, also im wesentlichen auf den britischen Inseln nach dem Ende der dortigen Bürgerkriege (Stichwort Cromwell, Charles I.) und in der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen den protestantischen Hannoveranern und den mehr zum Katholizismus neigenden Stuarts am Anfang des 18. Jahrhunderts gab es die meisten uns heute vertrauten Erscheinungen des täglichen Lebens schlichtweg noch nicht. Die moderne Wissenschaft war gerade erst im Entstehen, die Technik als Hilfsmittel des Menschen war noch weitgehend unbekannt. Eine moderne Medizin gab es nicht. Erst recht war die Globalisierung in der heutigen Art und Weise nicht vorstellbar. Zwar nahen sich die Europäer das Recht, die restliche Welt mit Ausnahme Nord-Amerikas zu unterwerfen und auszubeuten, (in Nord-Amerika erledigten das die schon dort lebenden Europäer alleine ohne Anbindung an den sog. Alten Kontinent). Dies führte aber noch lange nicht dazu, dass die von den Europäern“ besuchten“ -oder ist heim-gesuchten treffender?- Völker die Möglichkeit hätten, ihrerseits Europa zu „besuchen“. Die Staaten waren jedenfalls in West-Europa deutlich homogener zusammen gesetzt, das Zusammentreffen verschiedenster Ethnien und kultureller Verständnisse an ein – und dem selben Ort war jedenfalls Europa weitgehend fremd. In den Bereichen der Welt, in denen sich die heute bekannte Freimaurerei ausgeprägte, gab es letztlich nur das sog. abendländische Christentum. Andere Religionen waren zwar bekannt, mit Ausnahme jüdischer Mitbewohner, die noch lange nicht Mitbürger waren, aber praktisch überhaupt nicht vorhanden.

Gänzlich anders die heutige Situation. In ein-und demselben Land leben Menschen verschiedenster Ethnien und Religionen. Die Annahme, dass alle in einem Land Lebenden einen weitgehend einheitlichen Sozialisationsprozess durchlaufen haben, die selben Märchen und Gedichte kennen, Romane gelesen haben und Feiertage feiern und daraus ein weitgehend einheitliches Verständnis über die grundlegenden Werte des Zusammenlebens haben, ist nicht mehr gerechtfertigt. Was Gleichberechtigung der Geschlechter heißt, ob es eine solche überhaupt geben soll, wie Mann und Frau miteinander umgehen, welchen Gehorsam Kinder den Eltern schulden und sofort, die Auffassung hierüber hat sich in einem Maße aufgegliedert, das noch vor wenigen Jahrzehnten nicht denkbar schien. Wir leben in einer Zeit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Auffassungen, Werten und Lebensstilen. Das Internet nimmt uns zugleich die Möglichkeit, die Augen davor zu verschließen. Wir wissen allzu viel von- und übereinander.

Die Rückbindung auf einen Gott als letzte Instanz hat sich über die Kreise der Höchstgebildeten hinaus deutlich aufgelöst. Viele brauchen Religion nicht mehr, sind Agnostiker oder Atheisten. Andere sind (wieder) intensiv religiös und vertragen die Leugnung des Bedürfnisses nach einer übermenschlichen lenkenden Instanz kaum, reagieren auf die Atheisten und Agnostiker mit Aggressivität. Und natürlich gibt es dies auch umgekehrt von Seiten der Atheisten oder Agnostiker, welche die, die weiter einem Gott anhängen, aggressiv angreifen, verbal wie manchmal auch tatsächlich.

Die Freimaurer streben nach mehr Licht, also besserer Erkenntnis. Sie wissen, dass das Leben eine Wanderung ist, dass nach jeder Biegung des Weges neue Perspektiven auf ein – und den selben Ausblick eröffnet werden und damit neue Erkenntnisse und Einsichten. Sie wissen auch, dass es die eine und unverrückbare Wahrheit nicht gibt. Wie in der Wissenschaft soll durch das bessere Erkennen eine vorläufige Wahrheit durch die noch bessere, wiederum vorläufige ersetzt werden. Mit Weisheit soll durch Stärke der Bau der Humanität, des gemeinsamen guten Zusammenlebens, ausgeführt werden. Das hierbei Bausteine unterschiedlichster Art und Belastbarkeit zu verwenden sind, ist dem Freimaurer bewußt. Deshalb haben sie sich Toleranz im Wortsinne auf die Fahne geschrieben. Tolerare heißt ertragen (nicht billigen!). Freimaurer können miteinander umgehen und arbeiten, obwohl sie womöglich gänzlich andere Auffassungen davon haben, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sie wissen sich darin verbunden, dass wir hier auf dieser Erde für alle ein möglichst gedeihliches Leben erreichen wollen, bei dem jeder sich soweit, wie nur irgend möglich, geistig an und materiell entfalten kann, ohne dass er dies auf Kosten anderer tut.

In der eigenen Erkenntnisarbeit, der sog. Arbeit am rauhen Stein, arbeitet die Freimaurerei mit Symbolen und Ritualen. In der hiermit angekündigten Artikel-Folge soll nun gefragt werden, ob einzelne Aspekte und einzelne der verwendeten Symbole noch zeitgemäß sind. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass gerade in Deutschland die Freimaurerei allenfalls eine gesellschaftliche Randerscheinung ist. Mit knapp 10.000 humanitären Freimaurern sollte nach Meinung des Verfassers das Reservoir an „freien Männern guten Rufs“ für die Arbeit am Bau des Tempels der Humanität noch lange nicht erschöpft sein. Warum sind dann so wenige Freimaurer?

Darüber hinaus ist der autochthone Mitteleuropäer in der Gruppe der humanitären Freimaurer deutlich stärker vertreten als es der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung Deutschlands entspricht. Die Artikelfolge will daher auch der Frage nachgehen, ob die augenscheinlich geringere oder gar geringe Attraktivität der Freimaurerei für Angehörige der Einwanderer außerhalb der europäischen Nachbarländern daran liegen könnte, dass die Freimaurerei an Konzepten ihrer Vermittlung festhält, die zu Zeiten entstanden und sich in Zeiten bewährt haben, in denen de ethnisch-kulturelle Mix heutiger Zeit so noch nicht bekannt war und, vor allem, was daraus an Änderungsbedarf folgen mag.

Der Verfasser weiß, dass er letztlich nichts weiß und dass er mit seinen Überlegungen vielerlei Gesichtspunkte jeweils außer acht lassen wird, sie womöglich gar nicht gesehen hat, die es mehr als wert wären, zu den einzelnen Themen mit bedacht zu werden. Gerade deshalb werden diese Artikel geschrieben. Denn sie sollen andere dazu anregen, ihre Erkenntnisse beizutragen und damit die Erkenntnisse zum Thema zu verbessern. Das Bessere ist selbst der Feind des Guten und jeder neue und bessere Gedanke ist also eine große Hilfe, um die Fragen zu verstehen und Lösungen zu finden.

In der Annahme, dass Überspitzung Erkenntnis fördern kann, weil prononcierte Äußerungen den Empfänger packen, ihn ärgern und dazu bringen, dass er selbst nachdenkt, Argumente liefert, warum die Überspitzung unzutreffend ist und wo die richtige Erkenntnis tatsächlich liegt, sollen in den Artikeln auch Thesen vorgebracht und erörtert werden, von denen Verfasser weiß, dass sie in der derzeit bestehenden Freimaurerei humanitärer Ausrichtung (noch) nicht mehrheitsfähig sind. Eine Diskussion, die aber von vornherein alle Punkte ausklammert, von denen bekannt ist, dass sie anderen unangenehm sein könnten oder kontrovers sind, führt nicht weiter. Die Freimaurer üben sich in der Toleranz und diese wird gerade für die schwierigen Punkte benötigt, für die Themen, „bei denen es bei denen es wehtut“.

Der Verfasser plant daher, jedenfalls zu den Stichworten „die Bibel als aufzulegendes Buch heiliger Gesetze oder das weiße Buch“, „Baumeister aller Welten, braucht ein Maurer einen Glauben an ein Supreme Being?“, „Freimaurerei und Homosexualität beziehungsweise Freimaurer und der Umgang mit der Sexualität“ sowie „Braucht es Großlogen und logenübergreifend einheitliche Rituale oder Ritualfreiheit am Beispiel der Schweiz“ sowie „freimaurerische Kulturpreise an Nicht-Maurer – Schmücken mit fremden Lorbeeren?“ in diesem Blog zu veröffentlichen. Die sehr erhoffte – möglichst kritische und damit konstruktive- Reaktion geneigter Leserinnen und Leser und die Zufälligkeiten des frei flottierenden Geistes oder die erhofften Diskussionen mit Lesern mögen noch andere Themen aufs Tapet bringen.

Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst uns Taten sehen!

So sei es mit dieser Vorrede getan und für alsbald die erste inhaltliche Auseinandersetzung versprochen.

 

von M. D.

 

Möchten Sie Ihre Gedanken bereits äußern oder mit dem Autor des Beitrages diskutieren, dann verwenden Sie folgendes Kontaktformular: