Freimaurer und das Vaterland

Freimaurer und das Vaterland

Von einem alten Zopf und der Frage, welche neue Frisur an seine Stelle treten könnte

Mit diesen ersten Überlegungen zum Modernisierungsbedarf und der Mondernisierungsfähigkeit der Freimaurerei will ich eine Reihe von

Gedankenanstößen zum Ablauf der sogenannten Tafelloge der Freimaurer vorstellen. Neben dem eigentlichen sogenannten Ritual, bei dem sich die Freimaurer in vorgegebener Kleidung im sogenannten Tempel zu einer „Arbeit“ versammeln, bei der sie ähnlich wie in einer kirchlichen Liturgie in einem festen Ablauf weitgehend feststehende Texte und Handlungen ausführen (im neueren deutsch könnte man es vielleicht als eine Performance von Wort, Musik, Bewegung und Licht bezeichnen) gibt es als zweite nach einem vorgegebenen Rahmen ablaufende ritualisierte Veranstaltung der Freimaurer die sogenannte Tafelloge.

Von Original-Gravur: F-T Bègue Clavel (1798-1852) in: „Histoire pitoresque de la franc-maçonnerie“. – Kupferstich von 1843, PD-alt-100, Link

Es handelt sich hierbei um ein gemeinsames festliches Essen, dass in einem vorgegebenen, sich bei jeder Tafelloge wiederholenden Rahmen eingebettet ist.

Der wesentlichste Teil dieses ritualisierten Rahmens sind die sogenannten Trinksprüche.

Zumindest „auf die Großloge“, die „besuchenden Brüder“, „die Schwestern“, die durch Krankheit oder ähnliche nicht selbst gewählte Umstände verhinderten Brüder und „das Vaterland“ werden jeweils durch einen teilnehmenden Freimaurer Worte der Würdigung , eben ein Trinkspruch oder Toast ausgebracht und im Anschluss daran wird der Trinkspruch „nach allen Regeln der königlichen Kunst vollendet“ (,was meint, dass zum Wohl des durch den Trinkspruch gewürdigten das Glas geleert wird).

Heute und in diesem Beitrag soll es nur um den Trinkspruch auf das Vaterland gehen.

Vorgegeben im „amtlichen Ablauf“ ist die Würdigung des Vaterlandes, bei einer Tafelloge in Deutschland also Deutschlands. Im Anschluss an den Trinkspruch wird denn auch die deutsche Nationalhymne gesungen.

Als jemand, der bislang immer wieder dazu gekommen ist, dass das Europa der Vaterländer der bessere Weg ist und wir anstelle unserer Heimatländer, klassisch gesprochen Vaterländer, nicht ein neues Land Europa als Identifikationspunkt werden setzen können, sondern dass es auf unabsehbare Zeit bei der Zusammenarbeit der Heimatländer in Europa bleiben wird, habe ich eigentlich gegen einen Trinkspruch auf das Vaterland nichts einzuwenden. Erst recht habe ich nichts dagegen, dass wir die sehr schöne dritte Strophe des Deutschlandliedes im Anschluss an den Trinkspruch singen. Nicht zuletzt deshalb, weil auch in ihr mindestens zwei Ziele angesprochen werden, die auch die Freimaurer ausdrücklich anstreben, nämlich Freiheit und Brüderlichkeit. Und das dritte Ziel, dass die Freimaurer in Verbindung mit Freiheit und Brüderlichkeit immer wieder nennen, die Gleichheit, findet sich im Deutschlandlied vielleicht mit dem Bezug auf Einigkeit und Recht ebenfalls.

Das Problem liegt in meinen Augen aber darin, dass, wie die causa Mesut Özil aktuell gut illustriert, es das eine Vaterland aller Teilnehmer an einer Tafelloge allermeist gar nicht mehr gibt. Selbst die Mitglieder einer Loge stammen heutzutage aus vielerlei Ländern, jedenfalls in Logen in den größeren Ballungszentren, die naturgemäß die Völker aller Welt schneller anziehen als Logen auf dem flachen Land. Auch wenn sich diese „Einwanderer“ ihrer Heimatstadt (in meinem Falle Berlin) verbunden oder sogar sehr verbunden fühlen, würden sie auf die Frage, was denn ihr Vaterland sei, trotz jahrelangen Aufenthalts in Berlin, obwohl sie fließend Deutsch sprechen können und einen umfänglichen örtlichen Freundeskreis haben, sich als Holländer, Franzose, Polen, Türke und sofort verstehen, nicht als Deutsche. Daran ist auch nichts Negatives. Bei einer Loge handelt es sich ja nicht um eine nationale Einrichtung oder um ein Vehikel, um alle zu Deutschen zu machen.

Auch sind die sogenannten besuchenden Brüder, also die Freimaurer, die der die Veranstaltung abhaltenden Loge nicht angehören, sondern diese nur besuchen, nicht zwingend ihrerseits Deutsche. Gerade besuchende Brüder kommen oft von weit her, was ja einer der Reize der Freimaurerei ist, die Weltbruderkette.

Alle aber sollen auf das Deutsche Vaterland trinken. Mir erscheint dies unnötig ausgrenzend.

Ein Lösungsversuch dieser Problematik, den ich kennen gelernt habe, ist es, vor dem Trinkspruch zu erklären, dass mit der Würdigung des deutschen Vaterlandes und des Singens der dritten Strophe des Deutschlandliedes stellvertretend, gleichsam symbolisch, alle Vaterländer gemeint sein.

Ich finde dies nicht wirklich überzeugend. Mit der Behauptung, man müsse alles einfach nur symbolisch verstehen, eben einfach so als ob etwas anderes gemeint sei, kann man jedes Problem sozusagen im Verordnungswege wegdiskutieren. Ich finde es aber damit noch nicht gelöst. So wenig, wie den Nichtjuristen der juristische Kunstgriff überzeugt, dass im Sinne der Verordnung auch Weihnachtsmänner Osterhasen seien, kann man einen Trinkspruch auf das deutsche Vaterland als Symbol für alle anderen Länder verkaufen wollen.

Meines Erachtens muss man sich eingestehen, dass ein Trinkspruch auf das Vaterland ein alter Zopf aus der Zeit ist, in der es schon aus technischen Gründen praktisch nie wirklich ausländische Besucher in eine Loge kamen und daher alle immer automatisch dem selben Vaterland angehörten. Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei. Will man moderne Menschen ansprechen, sollte man den endgültig veränderten Zeiten auch Rechnung tragen.

Mein Vorschlag wäre, an die Stelle des Vaterlandes die Heimat zu setzen.

Die Lateiner sagen zwar „Ubi bene, ibi patria „ (wo ist mir gut geht, da ist mein Vaterland). Seit der Erfindung des Nationalstaates verstehen wir Vaterland aber doch etwas enger als die Lateiner. Vielleicht sollte man diesen lateinischen Spruch heute statt mit Vaterland mit Heimat transponieren. Das war bei den Lateinern vielleicht auch gemeint.

Heimat ist da, wo man sich zu Hause fühlt, wo man Wurzeln hat oder Wurzeln meint, noch schlagen zu können. Unter Heimat kann jeder sich jeweils das vorstellen, was für ihn eben dieses Gefühl des zu Hause Ankommens auslöst, weil man sich nicht groß erklären und rechtfertigen muss.

Gerade einen Trinkspruch und gerade eine so Gemeinsamkeit betonende Veranstaltung wie ein gemeinsames Essen sollen zusammenbringen und nicht in ihrem Ablauf Trennendes hervorrufen.

Und wenn man der Auffassung sein sollte, dass auch Heimat nur das sein kann, wo jemand als Kind aufgewachsen ist, und angesichts der heutigen Lebensläufe für viele daher nicht der Ort ist, wo sie sich, womöglich schon länger, aktuell aufhalten, dann müssen wir gemeinsam an Stelle des Begriffs Heimat einen ganz anderen Begriff finden.

Was mit dem Trinkspruch auf das Vaterland gemeint ist, scheint mir nämlich die Betonung dessen, dass wir Teil einer Gemeinschaft sind, in der wir miteinander leben, dass wir ein gemeinsames Interesse haben, diese Gemeinschaft zu fördern, Probleme zu lösen oder abzuwenden und mit und in dieser Gemeinschaft glücklich zu werden. Und zugleich wissen wir, dass wir dieser Gemeinschaft wesentliche Grundlagen unseres Lebens verdanken. Gerade in einem wohl geordneten und wohlhabenden Land wie Deutschland wissen wir, was wir dem Land und der Arbeit seiner Bürger und der Arbeit derer, die schon gestorben sind, aber dieses Land geprägt haben, verdanken.

Der Trinkspruch für das Vaterland will dies würdigen. Mit dem Beharren auf dem Begriff Trinkspruch für das Vaterland wird aber all dies verdunkelt, statt erhellt. Damit wird der Zweck der maurerischen Arbeit, mehr Licht, also verfehlt.

Und so scheint es mir in die Zeit gekommen, diesen alten Zopf, der für die heutige Zeit nicht mehr das aussagen kann, was er einmal aussagte, abzuschneiden und sich Gedanken über eine neue Mode zu machen.

 

von M. D.

 

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