„Gedanken eines Suchenden X“
Von den Vorurteilen
Mehr als je zuvor erfahren wir mehr über die Welt und über ihre Begebenheiten. Wir können über Kulturen lernen, die Geschichte, von den Wissenschaften, neuen Genüssen wie zum Beispiel beim Essen, von vielen Ansichten und noch viel mehr.
Je mehr es zu erlernen gibt, desto größer scheint die Vielfalt an Vorurteilen zu werden und es entsteht in mir etwas der Eindruck, als dass der Mensch glaubt in der Flut an Informationen zu ertrinken und um sich über Wasser zu halten, sich ein Floß aus Vorurteilen baut um nicht in den Wellen des Wissens zu ertrinken. Zu groß ist die Gefahr an den Strand der Erkenntnis gespült zu werden an welchem man seine Denkweise neu betrachten… sorgfältig angelegte Schubladen, in denen akribisch jede Information sortiert und zurechtgelegt ist und Erfahrungen sowie erlerntes Wissen neu sortiert werden müssen.
In seiner Faulheit möchte der Mensch gerne einfach denken können, er braucht klare Linien und alles muss seine Ordnung haben. Wehe dem es passt irgendetwas nicht in eine der mehr oder weniger vorhandenen Schubladen, die sich in den Gewölben des Verstandes befinden. Peinlich genau werden diese Schubladen gehütet. Heißt es doch, dem eigenen Verstandesegoismus treu zu bleiben und sich ja nicht selbst zu widersprechen.
Im eigenen Weltbild gefällt sich der Mensch und die selbst aufgesetzten Scheuklappen mögen einen jeden davor schützen sich mit noch mehr Dingen zu beschäftigen; aus Angst das der Kopf platzen könnte. Das was der Mensch für sich selbst wahrnimmt ist Wahrheit, weil er es ja selbst wahrnimmt. Und was die eigenen Sinne transportieren muss ja stimmen, denn warum sollte sich das gesunde Wesen in sich selbst betrügen. Dabei setzt der Mensch voraus, dass alles was er wahrnimmt auch ein jeder Anderer zwangsläufig so wahrnehmen muss. Und allzu schnell fallen Vorwürfe aus dem Mund wie: „Das musst Du doch gesehen haben!“, „Das musst Du doch merken!“, „Das sieht man doch!“ und viel dergleichen mehr.
Was hier dem ersten Eindruck zugestanden wird, ist nicht weniger als die Abgabe des Verstandes und eine frei gewählte Unmündigkeit sich selbst gegenüber.
Ist es denn die Wahrheit, die wir wahrnehmen?
In den Wissenschaften der Psychologie weiß man um die Wahrnehmungsfehler. Da nennt man sie auch kognitive Verzerrungen. Dinge, die unseren Verstand beeinflussen und uns die eigene Realität geben. Und ich schreibe bewusst eigene Realität.
Jede Sekunde fließen tausende und abertausende Informationen auf uns ein, die unser Gehirn unmöglich alle auf einmal bewusst verarbeiten kann. Ein Filter sorgt dafür, dass die zarte Masse nicht überkocht und gibt nur das weiter, was uns im jetzigen Moment das Überleben sichert und unseren Interessen hilfreich ist. Deswegen ist es auch eine diktatorische Ungezogenheit, wenn der Mensch wie oben geschrieben, voraussetzt, dass ein jeder genau dasselbe wahrnehmen muss wie der Mensch als einzelnes Individuum selbst.
Was sind das nun für Verzerrungen, die unser Wahrnehmen beeinflussen?
Einige Wenige möchte ich hier nennen:
Da wäre zum Beispiel der Attributionsfehler, in welchem der Mensch ein Verhalten einer anderen Person beobachtet und aus eben diesem einen Augenblick sofort auf eine feststehende Charaktereigenschaft dieses Menschen schließt.
Dann wäre da noch der Bestätigungsfehler: Hier ist es die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie brav in das eigene Weltbild passen.
Hinzu kommt dann noch die emotionale Beweisführung, bedeutet, der Mensch urteilt nach seinen Emotionen im Augenblick und wenn er sich zum Beispiel schlecht fühlt, wütend ist, gegenüber anderen Menschen, dann müssen die ja etwas falsch gemacht haben.
Nicht außer Acht zu lassen sind auch die Gender-Bias, wo schön die Schubladen geöffnet werden und geschlechtsspezifische Vorurteile und Vermutungen „herausgekramt“ werden die einem Rollenklischee entsprechen.
Illusorische Korrelationen, wo ein Kausalzusammenhang von zwei Ereignissen falsch wahrgenommen wird, als da wären die Salienz in der die Kriminalität von Ausländern falsch wahrgenommen wird, als auch die erwartungsbasierte Illusion von sozialen Stereotypen, in der zum Beispiel den Geschlechtern Tatsachen unterstellt werden oder nicht wahrgenommen werden wollen.
Sehr häufig wird auch der Halo-Effekt zu Tage gefördert, der in seiner Art ein garstiges Wesen ist. Dabei werden bekannte Wahrnehmungen auf unbekannte Eigenschaften eines Menschen übertragen. Sieht man also zum Beispiel einen Menschen mit einer großen roten Nase, dann ist er erstmal Alkoholiker und die Frage ob eben dieser Diabetes haben könnte wird nicht geprüft.
Selbstwertdienliche Verzerrungen sind ebenfalls ganz nützlich, denn hier ist es der Mensch, der sein eigenes positives konsistentes Selbstbild aufrechterhalten möchte und eine Unfehlbarkeit in der eigenen Person ausschließt um das eigene Gewissen nicht zu belasten.
Oder noch diese Verzerrung bei welcher Taten in anderen Gruppen als drastischer empfunden und hochdiskutiert werden, jedoch gleiche Taten in der eigenen Gruppe heruntergespielt und relativiert werden.
Und dann gibt es da auch noch diesen Bias-Blind-Spot, wo sich Menschen für unbeeinflussbar halten.
Es gibt noch etliche weitere Verzerrungen, die uns die Wahrheit vernebeln. Nun darf nicht gedacht werden, dass diese Verzerrungen grundlegend schlecht sind. Vielmehr dienen sie dazu unser Gehirn zu entlasten. Jedoch kann mit dem Bewusstsein um diese Verzerrungen peinlich geprüft werden, ob ein Urteil über einen Menschen auch der Wahrheit entspricht oder es in die „eigene Wahrheit“ eingemauert wurde. Hier zeigt sich nun die Schönheit im Menschen, wenn dieser kritisch hinterfragt und dabei nicht nur die Situation an sich, sondern auch den eigenen Verstand und das Senkblei tief in sich fahren lässt.
Die Vorurteile haben auch positive Seiten. Gerade in den Zeiten, wo wir noch mehr Affen- als moderne Menschen waren, war es doch durchaus nützlich zu wissen, dass ein großes Wesen im Gebüsch mit langen Reißzähnen nichts Gutes bedeuten kann. Für das Überleben ein nicht unwesentlicher Faktor.
Doch in den heutigen Zeiten und mit der Entwicklung unseres Verstandes haben wir auch die Pflicht übernommen genau zu prüfen ob denn Informationen die unsere Sinne wahrnehmen wirklich so zutreffen. Zugegeben, es ist nicht einfach und es bedarf zusätzlicher Arbeit und Anstrengung den Geisteshorizont zu erweitern und auch der Wille zum Denken muss vorhanden sein.
Wenn der Mensch es sich zu einfach macht und Informationen nicht hinterfragt, Meinungen ungeprüft übernimmt, nur die eigenen vorhanden Schubladen bedient und diese nicht erweitern will, dann …, ja dann laufen wir Gefahr uns durch die Geißel Vorurteil in einer Welt wiederzufinden, die nicht einem humanistischen Tempel entspricht sondern einer diesseitigen Hölle, die voll ist mit Leid.
Wenn der Mensch sich nicht aus seiner selbst auferlegten Unmündigkeit befreit, dann sind zum Einen die Anstrengungen von Menschen, die ihr Leben für eine bessere Welt des Humanismus und des Friedens gelassen haben, um das Elend vergangener Zeit, in der zu viele Menschen gelitten haben zu überwinden, missachtet und zudem verspielen wir die Fähigkeit und die Weisheit des denkenden Menschen. Denken bedeutet nicht nur zu Wissen wie Technik bedient wird und wie ein Bestellvorgang im Schnellrestaurant abläuft, sondern es ist auch eine Verpflichtung den anderen Menschen gegenüber.
Vorurteile können unheimlich viel Leid schaffen. Im Kleinen wie im Großen sind sie geeignet Unfriede und Elend zu erzeugen. Sei es im Bezug zum Nachbarn, der „irgendwie komisch“ ist als auch zu ganzen Kulturen, die Aufgrund Verfehlungen Einzelner sofort über einen Kamm geschert werden.
Wenn sich der Mensch in seinen Vorurteilen verliert, dann werden Schubladen geschaffen, die unordentlich sind und mehr einem geistigen Müllberg gleichen als einem gut sortierten Verstandesschrank.
Es darf nicht sein, dass eben jene garstigen Vorurteile aus geistiger Faulheit und Unfähigkeit übernommen werden, die nur dafür geeignet sind Menschen in Verruf zu bringen, diese zu etikettieren mit Schuld und allem Schlechten und dabei nur dafür dienen irgendjemanden eine Schuld zu geben, damit diese von sich selbst gewaschen wird und das eigene Weltbild gefälligst auch so ist, wie es sich im beschränkten Geist nur recht lieblich einfügt.
Ein jeder Mensch ist in der Lage zu prüfen ob sein Urteil auch gerecht ist. Gerechtigkeit heißt aber auch, dass ein Urteil sich einfügt in die kosmische Gesetzmäßigkeit und nicht der eigenen Selbstgerechtigkeit zu Boden kriecht. Im Kleinen lässt sich üben, was im Großen Wirkung erzielt und ein jeder Mensch soll als einzelner Mensch betrachtet werden.
Ein gerechter Richter urteilt nicht nach Herkunft, Religion, Geschlecht, Glaube oder Meinung, sondern nach den Taten des Einzelnen.
Wenn wir als Menschheit in Frieden leben wollen, wenn der Tempel der Humanität weiter errichtet und bestehen soll, dann dürfen Urteile nicht Einzelnen überlassen und von diesen stumpf übernommen und nachgeplappert werden, sondern ein jeder ist ein Stein in diesem Tempel, dessen Pflicht es ist, durch die Arbeit an sich selbst dazu beizutragen dieses Ziel zu erreichen. Die eigenen Vorurteile müssen ständig geprüft werden und peinlichst genau in der Waagschale abgewogen werden. Vorurteile lassen sich bearbeiten durch den bewussten Kontakt zu Menschen mit der Bereitschaft auch Gutes sehen zu wollen, durch die ständige Bildung des eigenen Verstandes und Schaffung von Wissen und schließlich der Bereitschaft zu verstehen, dass ein eigenes Weltbild, wie der Kosmos, ständiger Veränderung unterliegt.
Hierbei ist es unbedingt die Arbeit an sich selbst, die bösen Kanten der eigenen widerlichen Vorurteile abzuschlagen und als Vorbild nach außen zu wirken. Wenn der einzelne Mensch nicht an sich arbeiten möchte und mit seiner Bequemlichkeit und seiner Selbstgerechtigkeit sich dem Unwissen von unmündigen Menschen unterwirft, egal welcher notschaffenden Seite diese angehören, wenn nur das eigene Weltbild unabänderbar bedient wird, Tatsachen nicht gesehen werden wollen oder künstlich geschaffen werden, dann treiben wir wieder einer Zeit der Dunkelheit zu, in der Not und Elend Menschen entzweit.
Dies gilt es mit Weisheit, Stärke und Schönheit zu verhindern, um in ferner Zukunft vielleicht irgendwann einmal einen Feiertag des ersten Weltfriedens zu wissen!
von A. S.