„Gedanken eines Meisters I“

„Gedanken eines Meisters I“

„Die Freimaurerei ist für mich aktueller denn je“

Hier handelt es sich um ein individuell persönliches Bekenntnis eines älteren Freimaurers.

Als ich im Jahre 2005 Freimaurer wurde, habe ich einen Kreis von Menschen gesucht, wo ich mich geistig intellektuell betätigen konnte. In der Loge habe ich dies auch gefunden. Zu dieser Zeit war mir noch nicht bewusst, dass ich in der Freimaurerei noch viel mehr vorfinden würde. Ehrlich gesagt, habe ich erst viele Jahre später entdeckt, dass hinter dem intellektuellen Wissen über Freimaurerei eine Methode verborgen liegt, mit der man sein ethisch moralisches Wesen nachhaltig verbessern kann; wir Freimaurer nennen es „Einübungsethik“.

Es reicht nun mal nicht aus, über Tugenden lediglich viel zu wissen. Dann folgt das Üben und am Ende wird es mit Hilfe der „Kontemplation“ verinnerlicht. Am Anfang habe ich die Freimaurerei komplett mit meinem Verstand betrieben; ich habe viel über Freimaurerei gelesen, habe mit den Brüdern tolle Diskussionen geführt und habe auch selber Vorträge gehalten.

Die rituelle Arbeit im Tempel habe ich erst einmal auf mich wirken lassen. Da sich das Ritual immer wiederholt, wurde mein Geist nicht gerade herausgefordert. Im Laufe der Zeit habe ich herausbekommen, was die Tempelarbeit liefern kann und welchen Sinn sie hat.

Was im Tempel passiert, nennt man „Kontemplation“. Wenn eine Tempelarbeit feierlich zelebriert wird, kommt der unruhige Verstand zur Ruhe. Dadurch wird ein anderer Bewusstseinszustand erzeugt, in dem man in die Lage versetzt wird, wichtige Erkenntnisse in das Unterbewusstsein sacken zu lassen. Was dann erst einmal in den tieferen Regionen unseres Gedächtnisses abgespeichert ist, steht uns bei Bedarf später in Form von „Intuitionen“ zur Verfügung. Genau aus diesem Grunde hat für mich die Tempelarbeit der Freimaurer eine sehr große Bedeutung erlangt. Wenn man sich einer gut zelebrierten Tempelarbeit hingibt, kann man es fast mit einer besonderen Art der „Meditation“ vergleichen.

Wo finden Sie in der heutigen hektischen Gesellschaft die Möglichkeit, den Ort und die Zeit, eine solche Art von Meditation zu praktizieren?

In unserer Loge wird eine sehr aktive Gemeinschaft gepflegt. Dazu tragen u.a. bei, dass wir uns einmal pro Woche treffen und über die vertraulichen Gespräche mit Brüdern nichts nach außen tragen. Dieser geschützte Raum gibt uns zudem die Möglichkeit, an unserem Verhalten zu arbeiten und zu üben, ohne dass wir Sorge haben müssen, dass es im Alltag zu unliebsamen Konsequenzen führen könnte. In diesem Sinne könnte man die Freimaurerei auch als „Coaching für das Leben“ bezeichnen. Gerade durch die unterschiedlichen Brüder mit ihren unterschiedlichen beruflichen Professionen und Lebenserfahrungen findet jeder Bruder die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, wenn er dies denn möchte. Kein Bruder wird im Geringsten dazu gezwungen. Im Gegenteil, es sind Chancen, die einem im profanen Leben so nicht geboten werden.

Die bisherigen Argumente betreffen die Freimaurerei schon immer. In unserer heutigen Zeit kommt ein Argument hinzu, das zu früheren Zeiten in der Freimaurerei keine Rolle gespielt hat.

Eine so schnelle, hektische und Stress-erzeugende Zeit hat es damals vor 300 Jahren noch nichtmgegeben. Auch wenn das Leben damals körperlich anstrengender war, lief alles deutlich langsamer, weil es diesen wahnsinnigen technischen Fortschritt noch nicht gab.

Kommunikation in Echtzeit um die gesamte Welt war damals total unvorstellbar. Nun leben wir aber genau in dieser hochtechnisierten Zeit und wollen diese Errungenschaften auch nicht verteufeln. Ehrlich gesagt, ist unser Gehirn auf diesen technischen Fortschritt durch die Evolution nicht konditioniert. Lediglich unser Großhirn ist für diesen technischen Fortschritt zuständig. Das sind, erstaunlicherweise aber nur ca. 2% unserer gesamten Gehirnfunktionen. Der Rest, in Form von Emotionen, Gefühlen, Instinkten, Intuitionen, Immunsystem, Bauchgefühl, und vielem anderen, konnte dieser rasanten Entwicklung nicht mit den nötigen evolutionären Anpassungen folgen.

Um dies zu kompensieren, hat die s.g. Schulmedizin viel geleistet. Überlastete Organe können erfolgreich behandelt werden. Problematisch wird es auf dem Gebiet der psychischen Überlastung. Dort befinden wir uns erst ganz am Anfang. Mit Psychopharmaka können wir lediglich Symptome behandeln. Eine echte Heilung psychischer Krankheiten ist mit Hilfe der heutigen Schulmedizin nicht zu erlangen.

An dieser Stelle kommt die Freimaurerei ins Spiel. Wer es zu nutzen versteht, kann die Freimaurerloge als Hort der „Entschleunigung“ gebrauchen. Sowohl der geschützte Ort als auch die vertrauensvollen Brüder bieten die Gelegenheit, den Stress des Tages etwas abzuschütteln. In brüderlichen Gesprächen kann angesammelter Stress zur Sprache gebracht werden. Allein das Aussprechen seiner belastenden Probleme führt zu einer ersten Erleichterung. Besonders durch die älteren und lebenserfahreneren Brüder können stressige Situationen des Alltags aus einer höheren Warte betrachtet werden. Die älteren und erfahreneren Brüder haben durch das Bewältigen ihres eigenen Lebens so viele Erkenntnisse gesammelt, die sie sich damals selber gewünscht hätten. In einer Freimaurerloge kann man nun auf das Wissen und die Erfahrungen der älteren Generationen bedenkenlos zugreifen.

Am Anfang scheuen sich die jungen Freimaurer, diese menschliche Ressource der älteren Brüder anzuzapfen. Das liegt auch daran, dass das Lernen von älteren Brüdern meist auch mit schmerzhaften Eingeständnissen verbunden ist. Auch darin liegt eine wichtige Lebenserkenntnis verborgen, dass man die persönliche Weiterentwicklung nicht geschenkt bekommt. Auf diese Art wird in einer Freimaurerloge der Mut der jüngeren Brüder gefördert, sich aktiv diese Unterstützung bei den älteren Brüdern holen zu müssen. Wir sind und wollen keine Oberlehrer sein, die die jungen Brüder wie in einer Lehranstalt schulen wollen. Wir bieten viele Möglichkeiten an; holen muss sie sich der Bruder immer selbst.

Den Umgang mit ständigem Stress in unserer Gesellschaft halte ich inzwischen für ein ganz besonderes Merkmal der heutigen Freimaurerei. Mit gewissem Stolz könnte ich sagen, eine Freimaurerloge kann wie eine Art psychologischer Gruppentherapie wirken, um die Widerstandskräfte für die Herausforderungen unserer Zeit zu trainieren; heute nennt man das „Resilienz“. Resilienz nennt man die Widerstandsfähigkeit gegen Stressbelastungen. Als persönliches kleines Fazit zu diesem Thema behaupte ich, dass die Freimaurerei heute im Allgemeinen ein Coaching für’s Leben und im Besonderen eine Stärkung der Resilienz darstellen kann.

 

von E.A.E