Gedanken zu dem Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse

Gedanken zu dem Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!

von Hermann Hesse

@referenz

Hermann Hesse schrieb 1941 -nach langer schwerer Krankheit- sein Gedicht „Stufen“.

Mit der Wirkung eines Rituals durchaus vergleichbar offenbart sich der Inhalt so auch hier erst nach mehrmaligen Lesen. 

Hesses Gedicht verbreitet auf dem ersten Blick nicht unbedingt bodenständigen Optimismus, der einem förmlich ins Gesicht springt. Aber das war vermutlich auch weder seine Absicht noch seine Stimmungslage beim Schreiben.

Fortschreitendes Alter, welkende Blüten,  Abschied, Reise und Todesstunde sind nun mal nicht unbedingt Vokabeln, die fröhlich und heiter daherkommen.

Spätestens beim zweiten Lesen des Textes aber setzt sich schon ein nur in Melancholie verkleideter Grundoptimismus durch.

Das Leben ist für Hesse eine Wanderung, die vergleichbar einer Zugfahrt aus verschiedenen Abteilen besteht, aus denen Menschen aus- und zusteigen, Reiseziele, selbst Reisepartner wechseln.

Ich wünsche allen Lesern des Kaleidoskop ein schönes Weihnachtsfest 2018.

Vielleicht sollten wir die Festtage nutzen, um einfach inne zuhalten und keinesfalls vergessen, dass es nicht nur zu Weihnachten die Familie ist, die jeden von uns -auch in schwerer Zeit- hält und dass diese nicht zum „Rückzugsort bei Bedarf“ degradiert werden sollte.

Es sind durchaus die Bande der Familie gemeint, wenn die Worte fallen: „Niemand kann tiefer fallen als in Gottes Hand“

von C.H.