„Gedanken eines Meisters II“ Modell zur Einübungsethik

„Gedanken eines Meisters II“ Modell zur Einübungsethik

Einübungsethik ist ein wichtiger Begriff in der heutigen Freimaurerei. Dennoch scheuen sich viele Brüder, sich mit diesem Begriff tiefgreifender zu beschäftigen. Manche Brüder kennen die Gedanken und Ausführungen von Klaus Hammacher. Zugegeben, das ist keine einfache Kost. Um den Brüdern die Scheu vor diesem Thema zu nehmen, möchte ich die Einübungsethik als Modell darstellen:

Eine Loge kann man mit einem menschlichen Organismus vergleichen. Dieser Organismus ist dann gesund, wenn alle Organe in optimaler Weise zusammenwirken. Analog kann eine Loge nur funktionieren, wenn alle Brüder optimal miteinander arbeiten und eine Gemeinschaft bilden.

Was Ethik bedeutet, muss ich nicht näher ausführen. Unser höchstes Ziel ist es, unsere Lebenshaltung zu verbessern. Da dies nicht von selbst geschieht, müssen wir intensiv an unseren Tugenden arbeiten. Im Laufe der Kulturgeschichte wurden Tugenden geschaffen, weil das Zusammenleben großer Menschengruppen nicht mehr instinktiv ausgewogen und harmonisch erfolgte. Die freimaurerischen Tugenden kennt jeder Bruder. Um die Tugenden zu praktizieren, müssen wir sie einüben. In der Familie funktioniert das noch recht gut. Auch die Kirchen bemühen sich, die Tugenden zu predigen und einzuüben. In der heutigen profanen Gesellschaft erscheint der Umgang mit Tugenden eher diffus.

Ja, die Freimaurerei hat sich auf die Fahnen geschrieben, unsere Tugenden gezielt zu verbessern. Das Ziel ist hold, nur wissen wir nicht recht, wie es denn gehen soll. Viele Brüder sagen, dass sie ihre Tugenden maßgebend einüben und verbessern, indem sie regelmäßigen Tempel arbeiten teilnehmen. Im Logenalltag merken wir davon nicht all zu viel. Also reicht die Tempelarbeit offensichtlich nicht aus. Vielleicht führt mich das auf die Spur, eines der freimaurerischen Geheimnisse zu erschließen.

Zu Beginn möchte ich die Perspektive eines außenstehenden Bruders einnehmen, der nicht durch seine Loge in gewisser Weise befangen ist. Die Logenarbeit besteht aus drei Bestandteilen. Diese sind die Tempelarbeit, die Bruderabende und die Geselligkeit.

Ohne symbolische Wertung möchte ich diese 3 Bestandteile als Säulen bezeichnen, auf denen die Einübungsethik ruht. Infolge eines einfacheren Verständnisses möchte ich die Bruderabende als erste Säule behandeln. Aus der Vielfalt der Themen, die in Bruderabenden behandelt werden, greife ich Vorträge über die Tugenden heraus. Ein Bruder beschäftigt sich intensiv mit einem ethischen Thema und legt es in Form einer Zeichnung auf den Tisch. Anschließend bekommen die Brüder die Gelegenheit, sich zu diesem Thema auszutauschen. Das könnte man als die „geistige Arbeit“bzgl. der Einübungsethik bezeichnen. Wenn dieses geistige Einüben gut gelingen soll, sollten sich die zuhörenden Brüder vorher auch ein wenig auf das Thema der Zeichnung vorbereitet haben. Damit kann die brüderliche Diskussion bereits auf einem geistig höheren Niveau beginnen. Viele Brüder werden schon beobachtet haben, dass eine gut vorgetragene Zeichnung die zuhörenden Brüder regelrecht anstecken und anregen kann. Die geeignetste Form dafür ist die freie Rede. Die wenigsten Brüder haben gelernt, einen Vortrag in freier Rede zu halten. Gerade in einer Loge können wir das lernen, ohne dass wir von anderen unangenehm kritisiert werden. An dieser Stelle möchte ich den Begriff „Resonanz“einführen. Wir kennen diesen Begriff aus der Elektrotechnik. Das Radio sendet elektromagnetische Wellen aus, die von einem Radioapparat empfangen werden. Das Radio ist so konstruiert, dass man die Wellenlänge (Trägerfrequenz) auf die des Senders einstellen kann. Auf diese Weise geraten die Oberwellen des Radios in Resonanz und übertragen genau das, was der Sender ausstrahlt. Genau das gleiche kann bei einem guten Vortrag geschehen.

Die zuhörenden Brüder nehmen die Schwingung des vortragenden Bruders auf und werden empfänglich für die Botschaft des Redners. In der anschließenden Diskussion dreht sich das sogar um, d.h. ein Bruder wird durch seinen Redebeitrag zum Sender und der Vortragende nimmt diese Schwingungen auf. Gelingt dieses wechselseitige hin und her von Sender und Empfänger, stellt sich ein höherer Erregungszustand aller Beteiligten ein. Am Ende eines solchen Abends kann man feststellen, dass die Brüder von einem anfänglichen Bewusstseinszustand in einen erhöhten Bewusstseinszustand gelangt sind.Durch das gegenseitige Senden und Empfangen wird der Gemeinschaft ständig neue Energie zugeführt. Genau das nennt man Resonanz. Auf die Einübungsethik übertragen nenne ich dies die „geistige Ebene“.

Die zweite Säule unserer Logenarbeit stellt die Tempelarbeit dar. Dort geschieht etwas entschieden anderes als in einem Bruderabend. Wir bereiten uns feierlich auf die Tempelarbeit vor. Die individuell unterschiedlichen Schwingungen aus dem profanen Alltag kommen langsam zur Ruhe. Am Anfang der Tempelarbeit werden wir auf eine feierliche Art durch Kleidung, Musik, Bilder, Lichtspiele und sogar Düfte in eine gemeinsame Grundstimmung geleitet. Auch wenn wir innerlich ruhig werden, bleibt unsere Konzentration vollkommen aktiv. Dann beginnen die Wechselreden zwischen dem Meister und den Aufsehern. Jetzt wird diese gemeinsame Stimmung mit geistigem Inhalt gefüllt. Durch die gemeinsame Stimmung nehmen wir die Wechsel redender Beamten als Schwingung war.Die Brüder in den Kolonnen stellen die Empfänger dar. In einer von einem begnadeten Zeremonienmeister inszenierten Tempelarbeit stellt sich eine Art Synchronisierung der Brüder ein. Durch die so geschaffene gemeinsame Trägerfrequenz baut sich nach dem Prinzip der Resonanz ein heiliger Stimmungszustand auf. Nur in diesem Zustand kann der geistige Inhalt aus der aktiven Bruderarbeit in Kombination mitden geistigen Symbolen der Tempelarbeit in unser Unterbewusstsein hinabsinken. Das nennen wir Kontemplation. Auch wenn die Zeichnung der formale Höhepunkt der Tempelarbeit ist, stellt der symbolisch voll erleuchtete Tempel den eigentlichen und emotionalen Höhepunkt dar. Aus diesem erhebenden Bewusstsein werden die Brüder langsam wieder auf das Niveau des Ausgangsbewusstseins zurückgeführt. Von allen drei Ebenen der Logenarbeit stellt die Resonanz im Tempel die höchste Form dar. Dies bezeichne ich als„spirituelle Ebene“ der Einübungsethik.

Nun komme ich zur dritten Säule der Logenarbeit, der Geselligkeit. Die Geselligkeit umfasst das freudige Zusammensein der Brüder in den unterschiedlichsten Formen. Dies reicht von dem lockeren brüderlichen Gespräch über gemeinsame Veranstaltungen (mit Schwestern) bis zu dem engen Austausch echter brüderlicher Freundschaft. Die Intensität einer echten Bruderfreundschaft ist vergleichbar einer Blutsbruderschaft. In dem geselligen Bereich findet die Schwingung auf dem Niveau von Herzenswärme statt. Dies stellt wieder eine andere Stufe von Resonanz dar. Ich nenne sie die „emotionale Ebene“ der Einübungsethik.

An dieser Stelle möchte ich auf das analoge Modell des menschlichen Organismus zurückkommen. Die geistige Arbeit vergleiche ich mit dem menschlichen Verdauungssystem,die Tempelarbeit mit unserem Gehirn und die Geselligkeit mit unserem Herzen. Ist damit der Organismus der Loge komplett und funktionstüchtig? Nein. Alle diese drei Organe müssen mit Blut versorgt werden. Symbolisch könnten wir das Blut als den Stoff des Tempelbaues bezeichnen. In der Loge sind es die Brüder, die das Logenleben im wahrsten Sinne des Wortes mit Leben füllen. Für ein gesundes Blut ist es erforderlich, dass alle Brüder mit Freude am Logenleben teilnehmen. Wir alle erleben es, dass die Anwesenheit vieler Brüder zu wünschen übrig lässt. Eine unzuverlässige Anwesenheit der Brüder wirkt sich negativer auf das Gemeinschaftsgefühl der Loge aus als wir es uns vorstellen. Durch die unregelmäßige Teilnahme von Brüdern kann es nicht gelingen, diese Brüder richtig kennen zu lernen.

Mit diesem Zustand sind weder die anwesenden Brüder noch die nicht anwesenden Brüder zufrieden. Jetzt erkennen wir, warum in den Alten Pflichten die Abwesenheit der Brüder nur aus zwingenden Gründen gestattet ist. Aus humanitärer Art heraus lassen wir familiäre, arbeitsplatzbedingte und andere Gründe zu häufig gelten, um das Fernbleiben der Loge zu entschuldigen.

Da der Organismus Loge auf das Zusammenspiel der einzelnen Organe, wie Kopf –Verdauung –Herz, angewiesen ist, muss auf eine regelmäßige Teilnahme der Brüder großen Wert gelegt werden und zwar auf allen drei Ebenen der Einübungsethik.

Wer sich für die Freimaurerei entschieden hat, ist nicht nur einem geistigen Club beigetreten, sondern er ist einer organischen Gemeinschaft beigetreten. Wenn Brüder diese Bedeutung und damit auch die Priorität nicht erkennen, sollten sie ihre Mitgliedschaft in einer Loge ernsthaft überdenken. Es ist in keiner Weise ehrenrührig, wenn ein Bruder zu dieser Feststellung kommt und es ehrenhaft zugibt. Auch dies ist eine Tugend, die in unserer heutigen Gesellschaft selten geworden ist.

Schließen möchte ich mit dem angenehmen und erregenden Gedanken, dass eine auf diese Art funktionierende Logengemeinschaft ihren „Geist“gefunden hat. Analog wäre das die individuelle Seele eines jeden Bruders. „Pars pro toto“ bedeutet, im Kleinen spiegelt sich das Große und umgekehrt. Ist das nicht ein wunderbares Geheimnis,wenn nicht sogar Das Geheimnis,was uns kein Profaner auf der Welt entreißen kann?

von E.-A.E