Bereit für die Ewigkeit
Der Duft von Herbst, dichter Wälder nasser Erde, raschelndes Laub am Wurzelgrund,
zieht der Wind noch seine Bahnen, ist der Atem ums Erdenrund.
Tief atmet sie, die gute Alte, …Äonen ein, Äonen aus…, hebt und senkt sich ihre Lunge,
schenkt das Leben und saugt es auf. Aus ihrem Schoße ist das Leben gekrochen und kehrt auch dahin zurück.
Frisch geboren, offenbaren sich die Wunder. Hell scheint die Morgensonne, grüßt mit ihren Strahlen dem Neugeborenen fröhlich zu. Neugierig öffnet es jetzt die Augen, schlaftrunken noch blinzelnd, doch das Herz stimmt ein zu der Melodie des Lebens, dem Puls der Welt.
Nicht hörbar ist der Puls für lebenstaube Ohren, nicht spürbar unter den Sohlen für den, der immer rennt. Der Puls der Welt hat seinen eigenen Takt und es spielt keine Rolle, ob die Tänzer der Welt diesen Walzer beherrschen, es spielt keine Rolle ob melancholische schwere Gemüter vergebens die Stimmung suchen für das Orchester des Alls, es spielt keine Rolle ob phlegmatische Hinkefüße bei jedem Schritt den Takt verlieren. Das Einzige was wirklich zählt ist, dass die Weltenorchester schwingen in der Führung des großen Dirigenten.
Doch von alldem hat das junge Wesen noch keine Ahnung. Es interessiert sich noch nicht für die Gefühle der Schatten, es scherrt sich auch nicht um die Reichweite seiner Ellenbogen und kümmert sich auch nicht ob überall die Gunst erlangt ist. Es ist sich nur selbst wichtig. Und doch hat es noch kein Empfinden für das eigene Ego. Immerhin hatte es das Glück, von dem es auch nichts weiß, geboren worden zu sein. Und mit ganz viel Glück in einem Flecken der Erde, wo es die Hoffnung haben kann alt genug zu werden, dass die klitzekleinen Zehen, auch warm, Erde berühren dürfen.
Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Die Tage vergehen.
Das junge Wesen springt nun munter durch die wunderbare Welt. Diese herrliche, lieblich duftende, nie enden wollende, tollende Welt. In dieser Vormittagsstunde, wo sich hier und da noch kleine Käfer müde strecken. Und immer noch hat es keinen Begriff von Zeit. Denn Zeit gibt es in seiner Dimension noch nicht. Alles was geschieht passiert im Jetzt, es weiß noch nichts von langem Warten und ewigem Sehnen. Wohin der Ball rollt, da ist das Jetzt. Doch hat es gelernt sein Ich zu erkennen. Nähert sich mit vorsichtigen Schritten zum Begreifen der Anderen. Lernt langsam, aber etwas schneller als die Schnecken, von Aktion und Reaktion. Aber im kleinen Kopf ist noch kein Platz von Entstehen und Vergehen. Pudding wächst auf Bäumen und nach Spielzeug muss man sich nur bücken.
Oh, dieses kleine Wesen, dieses glückliche Wesen, dass von seiner Zerbrechlichkeit noch keine Ahnung hat. Dieses Wesen, in dessen jungen verrückten Geist noch keine Schranken zwischen Märchen und Realität existieren. Welch ein Rhythmus stampft durch seine Landen, welche Kraft an Vorstellung treibt die Maschine an, die dieses kleine Wesen wie eine Lokomotive durch grenzenlose Weiten führt.
Und bitte gebe es auch die Gerechtigkeit, dass dieses zarte Wesen noch nichts von Armut verstehen kann. Und es soll auch genügend Stärke für die Wesen da sein, die so früh schon erkennen mussten, dass es nicht jedem Kind gegönnt ist seine Eltern kennen zu lernen und die bittere Erkenntnis zu ertragen das Pudding nicht auf den „ökologischen“ Müllhalden des Westens in Afrika wächst.
Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Die Tage vergehen.
Bald ist Mittagszeit und das junge Wesen ist schon gespannt auf die Mittagsglocken. Ist es doch nicht nur sich seiner selbst bewusst geworden und hat schon eine kleine Lücke im großen Getriebe erkannt, wo es seinen Platz haben könnte. Unbarmherzig wurde ihm bewusst was Zeit ungefähr bedeutet. Die Nacht kann unmöglich schon vorbei sein, wenn die Eltern zur Schule mahnen. Die Zeiger der Schuluhr im Klassenraum müssen eindeutig manipuliert worden sein, so lange kann unmöglich eine Schulstunde dauern. Heißt es doch so schnell als möglich das wieder erkunden zu dürfen wonach es dem eigenen Geist begehrt. Es ist auch egal und interessiert noch nicht, dass es eben manchmal Arbeit und Überwindung kostet um über den Tellerrand zu kommen. Die nächste Zeit bestimmen Andere wie und wo sich der eigene Verstand zu bedienen hat. Warum das so ist, muss das kleine Wesen noch nicht verstehen. Und manchmal, aber nur manchmal ist eben die Welt nur so groß, wie man Kirschkerne weit spucken kann. Hinterm Kirschkernhorizont ist alles komisch. Und das muss stimmen, weil die Erwachsenen auf der Straße es ja schließlich sagen. Der dicke Mann im Marmeladenfleckenhemd vor dem großen Laden sagt das auch. Und er muss recht haben, schließlich ist er der Lauteste. Und Stinkendste.
Aber in immer mehr Momenten glimmen Funken auf wie kleine Glühwürmchen und das junge Wesen hat die Möglichkeit nach diesen kleinen Leuchten zu jagen. Sind sie doch nichts anderes als die eigenen Geistesblitze und Gedanken. Schwirren zwar noch umher wie ein Bienenvolk, dessen Stock von Zwillenmunition einer ungezogenen Göre getroffen wurde, doch mit Übung und viel Vertrauen in die Fähigkeiten durch die Erwachsenen, kann es lernen sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Mindestens jedoch, die grobe Richtung gezeigt zu bekommen. Und bleibt auch fest zu wünschen das die einzige Last die dieses junge Wesen tragen muss die Schulbücher sind und nicht die schweren Steine aus den Kobaltminen. Gegönnt sei ihm auch das Kirschkernspucken und nicht der Auswurf von der Tuberkulose.
Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Die Tage vergehen.
Laut läuten die Mittagsglocken und schnelle Füße tragen das Wesen durch die Welt. Stolz schlägt das Herz in der Brust. Hat es doch endlich die Schulbank hinter sich gelassen und darf nun viel weiter in die Ferne schauen. Auch hat es jetzt schon etwas mehr Sicherheit, wo sein Platz sein könnte. Schnell will noch der Beruf erlernt sein. Die ersten Lehrstunden in Sachen Gefühle wurden auch absolviert und das Zentrum des Rhythmus scheint nun in den Lenden zu sein. Herrliche Unsterblichkeit, Kraft der ewigen Jugend, Unzerstörbarkeit des Leibes, Unbeugsamkeit und Unerschütterlichkeit des jugendlichen Willens.
Wie süßlich duftend ist doch Dein Geruch und welch ein Feuerwerk erstrahlt am Firmament Deiner Höhe, fruchtbar wie der Samen explodierender Granatäpfel. Oh, Jugend! Wunderbare Jugend!
Doch bittere Tränen der Erkenntnis rollen über die Wangen, wenn es lernt, dass nur Leistung den Platz in der Gesellschaft zu bestimmen scheint. Gnadenlos knallen spätestens jetzt die Schranken zwischen den Welten von Märchen und Realität herunter. Bitter schmeckt diese Traube und schmerzhaft kann dieser irdische Fall aus dem Paradies sein.
Bitter auch vielleicht die Erkenntnis, dass dieses Recht auf gleiche Bildungschancen für Alle nur für diejenigen gilt, die nicht in bildungsarmen und sozial schwachen Bezirken aufgewachsen sind. Noch fehlt die Einsicht, erkennen zu können, dass nicht nur genetische Faktoren vererbbar sind, sondern auch Armut erblich sein kann. Mit der Kraft der Jugend lässt sich noch die Zeit der Sonne im Zenit nutzen. Geliebt sei die weisende und rettende Hand, die dem Wesen Halt gibt. Geliebt seien auch die Möglichkeiten in der Obhut der Eltern wohnen zu dürfen und sich dahin flüchten zu können, wenn die Geißeln der dunklen Schatten zu schmerzhaft sind, wenn die eigene Kraft und Erfahrung noch nicht reichen. Geliebt sei auch das Glück, in diesem Lebensabschnitt keine Waffe tragen zu müssen oder noch weiter weglaufen zu müssen als die Füße tragen können.
Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Die Tage vergehen.
Früher Nachmittag heißt die Stunde. Das Wesen ist älter und reifer geworden. Es hat jetzt vielleicht seinen Platz in der Gemeinschaft gefunden und vielleicht plagen es auch nicht mehr Sorgen als das Gemüt verkraften kann. Gegeben seien ihm ein festes Werk für das tägliche Brot und trotzdem noch genügend Zeit für die Familie zu haben. Gegeben sei ihm auch die nötige Weisheit, Kraft und Sicherheit um vielleicht selber kleine Wesen zu erziehen. Hier und da ertönen mahnende Worte an die lieben Kleinen, die zwar lieb und beschützend gemeint sind aber auch die Nackenhaare erstarren lassen, wenn die eigene Stimme Worte erschallen lässt, wie sie früher von den eigenen Eltern ertönten und das eigene Ohr am liebsten die eigene Stimme verleugnen möchte.
Es mag auch sein, dass nicht mehr nur der Rhythmus der Lenden den Takt in der Partnerschaft angibt, sondern auch der Rhythmus der Geister und des Verstandes eine wichtigere Rolle einzunehmen pflegt. Lieblich ist die Ruhe im eigenen Heim nach getanem Tagewerk und zufrieden lässt es sich den eigenen Bauch liebkosen im Hort der Sicherheiten.
Jetzt ist es möglich, heimlich die Schranken zwischen den Welten einzureißen oder wenigstens einen kleinen Blick dahinter zu werfen. Hin zu der Welt, wo noch alles in Ordnung war und Großvater Riesen besiegte. Waren die Schranken denn vorher zu schwer oder hat sich das Wesen nur nicht getraut oder gar an sie erinnert, diese heimliche Welt?
Hoffentlich hatte es überhaupt die Möglichkeit, zu dieser Welt zu flüchten, wenn es denn wollte. Hoffentlich musste es nicht zu früh um seine Liebsten weinen, hatte immer genug zu beißen und musste nicht bettelnd in den Gassen in irgendeiner Großstadt auf irgendeinem Kontinent sein Dasein fristen. Rausgestoßen aus der Leistungsherde, welche einer Stampede gleich nach geistlosem Konsum giert oder verstoßen aus dem sicheren Heim, weil der Tag nur 24 Stunden hat und mehr als 4 Jobs gleichzeitig leider nicht möglich sind um gierige Vermietermäuler zu stopfen.
Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Die Tage vergehen.
Nachmittag. Die eigenen kleinen Wesen schicken sich an, selber die Welt zu erkunden. Und vergessen sind hoffentlich die Sorgen die man vielleicht mit ihnen hatte. Sorgen, die auch daran gelegen haben können, dass man den Spiegel der eigenen Jugend vor das Gesicht gehalten bekommen hat. Immerhin mag es Momente gegeben haben, wo unklar war ob es das Gefühl der Sorge oder das Gefühl von Stolz sein sollte, wenn sich herausstellte, dass die eigenen Kinder einem doch sehr ähneln.
Jetzt kommt vielleicht auch schon eine kleine Vorfreude auf das Leben nach der Arbeit.
Auch kommen diese Momente langsam wieder, diese Momente, wo sich wieder Zeit findet Dinge zu tun, auf die man so lange verzichten musste. Wo die Nadel des inneren Kompasses wieder zu rotieren beginnt, um das verloren geglaubte Märchenland wieder zu finden. Einige erleben schon ihren zweiten Frühling. Oder Dritten, oder Vierten.
Die Arbeit ist stabil und bis zur Rente hält es sich noch aus. Der Partner ist folgsam, die Kinder haben gelernt und lassen die Spaghetti nicht mehr anbrennen. Der eigene Bauch mahnt, es mal wieder mit Bewegung zu probieren, damit die Augen bestätigen können was die Hände über das Geschlecht verraten. Eventuell ist es auch anders gelaufen und die Umstellung zur Rente wird nicht allzu schwer werden, da der Übergang von Hartz IV zur Rente erfolgt. Man war eben schon mit 45 zu alt für den Berufsmarkt und die sekundären Geschlechtsmerkmale haben irgendwie auch nicht so richtig gepasst. Aber wenigstens hatte man so genügend Zeit sich rechtzeitig an die Altersarmut zu gewöhnen.
Falls die Schicksalsfäden der Nornen anders gesponnen sind, erlebt man es auch gar nicht mehr. Ein Unfall hat einen aus dem Leben gerissen, Herzinfarkt oder Schlaganfall werfen einen zurück auf die Stufe eines Kleinkindes oder man ist einfach nur irgendwo in einem idyllischen kleinen schönen grünen Flecken der Erde auf der Flucht verstorben. Oder ein Geschoss hat spontan die freie Sicht zur Sonne blockiert, weil man laut gesagt hat das man eine eigene Meinung hat. Mit Glück wird man auch einfach nur in einem Umerziehungslager irgendwo in Asien gefangen gehalten. Natürlich nur präventiv, denn wer kann schon sagen was aus einem Uiguren alles werden kann.
Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Die Tage vergehen.
Langsam nähert sich die Sonne dem Horizont. Die Abendsonne erfreut das Auge, wenn sie rot untergeht. Die Krähenfüße in den Augenwinkeln freuen sich mit.
Die Enkel spielen zu den Füßen und man muss auch gar nicht hinschauen oder hinhören ob sie das tun, der Legostein, der sich zärtlich in die Ferse bohrt verrät es einem schon.
Aus der Küche riecht es duftend nach einem leckeren Kuchen den der Partner bäckt und mit der Gelassenheit des Alters wird mit dem großen Zeh der Couchtisch herangezogen um zu dem spannenden Buch greifen zu können in das man gleich wieder versinken kann, nachdem noch schnell vom Sofa aus ein Blick in den Garten geworfen wird um zu prüfen ob wieder ein Spielzeug der Nachbarskinder im Blumenbeet gelandet ist. Viel Zeit bleibt ja nicht mehr, denn für den Nachmittag haben sich die Kinder angemeldet um die Enkel wieder abzuholen.
Die andere Seite, die das Leben bereithält, verspricht traurigere Dinge. Erfolgreich hat man es bis zur Rente geschafft. Der Rücken ist krumm, die Augen trüb, die Finger sind schwach aber wenigstens noch stark und lang genug um die Pfandflaschen aus dem Mülleimer zu fischen. Die Finger tänzeln dabei elegant an den Dönerresten vorbei und da das Gesicht gerade über dem Mülleimer hängt findet sich auch zur großen Freude ein halbes Brötchen, was diesmal nicht ganz so viele grüne Flecken wie das von vorgestern hat. Gerne würde man die Kinder bitten etwas zum Essen zu besorgen. Wenn sie Zeit hätten. Aber die Arbeitssuche zwang sie an die Küste oder an die Alpen zu ziehen. Sie haben es sich auch verdient, nach der Lehre und den vielen selbst bezahlten Zusatzqualifikationen, die nach der Arbeit noch schnell erworben wurden, eine Heimat in Skandinavien oder in der Schweiz zu finden. In Deutschland waren sie ja eh nur überqualifiziert und für Mindestlohn mit zwei Nebenberufen reicht es eben nicht für bezahlbaren Wohnraum.
Die eigene Wohnung ist gleich um die Ecke. Eine gemütliche 1-Zimmerwohnung im sozial schwachen Viertel der Stadt. Mehr braucht man im Alter ja sowieso nicht. Dasselbe dachte sich der Mitbewohner der 1-Zimmerwohnung in der Rentner-WG auch. Altenheim ist Luxus und bei der Wahl zwischen der Wohnung an der Hauptstrassenkreuzung mit den vielen Trinkern und Randalierern die keine Nachtruhe kennen und dem einsamen Zimmer wo man ganz in Ruhe stundenlang in seinen Ausscheidungen liegen kann, weil die Pflegekräfte keine Zeit haben für Gespräche oder Säuberungen, fällt die Entscheidung sowieso schwer.
Solche Entscheidungen muss das alte Wesen in anderen ärmeren Ländern nicht treffen. Da kann man wenigstens noch ungestört unterm Wellblechdach in der Favela hinsiechen. Wenigstens Besuch bekommt man, auch wenn man natürlich nicht jeden verirrten armen Menschen, der in der Not Leim schnüffelt um wenigstens den Geist aus dem Elend zu helfen, wenn schon der Körper im Abfall bleibt, persönlich kennen muss.
Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Die Tage vergehen.
Irgendwann ist es soweit und der Weg führt in den ewigen Osten. Hin zu den Ländern, die noch kein lebendiges Auge erblickt hat und von dessen Gefilden noch kein Wanderer je wiederkam. Niemand weiß was da zu erwarten ist. Das Einzige sind die persönlichen Vorstellungen von einem Jenseits. An diesem Punkt des ewigen Kreislaufes ist man nun auf sich allein gestellt und die Seele schreitet in die Ewigkeit. Vielleicht darf man dabei die Hand der Liebsten halten und ihnen Danken oder Mut zusprechen. Oder man stirbt wirklich einsam. So einsam, dass nur die Fliegen wissen das ein letzter Atemzug sich auf die Reise um die Welt macht. Wenn dieser Moment ohne Schmerzen stattfindet, ist es umso besser.
Die Sonne geht unter. Momente vergehen. Irdisches wechselt die Sphäre.
Wann dieser Moment kommt wissen die Wenigsten. Der Gevatter klopft nicht oft vorher an. Gewiss ist nur, dass er kommt. Können wir ihm aufrecht in die Augen schauen?
Es liegt nur sehr bedingt in unserer Hand, darüber zu entscheiden wie und wo wir ihm gegenübertreten. Darüber zu verzweifeln verdüstert die Gedanken und versperrt den Blick für die schönen Dinge dieser wunderbaren Welt mit ihrer beindruckenden Natur und den großen und kleinen Wundern des Lebens und der Schöpfung.
Glücklich kann der Mensch sein, dem es vergönnt war ein Leben in Frieden zu führen. Ohne große Not, ohne Hunger leiden zu müssen, ohne um seine Liebsten weinen zu müssen die zu früh durch Armut, Krieg oder andere Schicksale hinweggerafft wurden.
Glücklich darf auch der sein, der von solchen Elenden nichts erfahren musste und geschützt war von solcher Kunde aus anderen Horizonten.
Vielleicht, aber nur vielleicht, ist es in diesem Augenblick der letzten Minuten im irdischen Jetzt am Wichtigsten, nicht darüber zu sinnen das und warum man jetzt von dieser Daseinsform Abschied nehmen muss, sondern das Bewusstsein und die Dankbarkeit darüber wie man leben durfte.
All die tollen Sachen, die es zu erkunden galt, die herrlichen Welten auf dieser Erde mit ihren riesengroßen Wundern und Märchen, den vielen Düften von der Blumenwiese, aus dem Wald oder vom Bäcker gegenüber, den unendlichen Möglichkeiten der Wissenschaften. Das All, den Leib, Flora und Fauna, Physik, ja den gesamten Gesetzmäßigkeiten der Natur und des Seins. Immer wieder neues entdecken zu dürfen. Nicht nur um einen herum, sondern auch tief in uns drin. Wunderbare Philosophen, Märchenerzähler, Erfahrungen die unseren Geist formten und uns zu dem machten, was wir sind.
Wir sollten erkennen, dass uns hier, in diesem Augenblick, in dieser Gemeinschaft, das Glück zuteil geworden ist, diese Welt zu erkunden und ihre Geheimnisse zu enträtseln.
Wir sollten dankbar sein, nicht irgendwo in einem Teil der Erde geboren worden zu sein wo es ungewiss ist ob man über das Kindesalter hinauskommt, wo niemand weiß ob Vater oder Sohn am Abend wieder nach Hause kommen, weil sie ohne Schutz den Kobalt für „saubere Energie“ aus spärlichsten gesicherten Minen schürfen müssen, wo man nicht die Nahrung aus dem Müll glauben oder das Vieh am vergessenen Minenfeld grasen lassen muss. Da wo so viele Unwegsamkeiten und Niederungen die Menschen und die Natur bedrohen.
Ich bin dankbar in einer heilen Welt leben zu dürfen. Dankbar für meine Familie, die mich in Ruhe erziehen durfte und mich schützen konnte und kann. Dankbar dafür, mir noch die Wohnung leisten zu können und Arbeit zu haben. Dankbar jeden Tag Essen zu haben und bei Krankheit zu einem Arzt gehen zu können. Dankbar für die vielen Bücher die ich mir leisten konnte und kann um meinen Geist zu formen. Dankbar für die vielen Erfahrungen die ich machen durfte und darf. Dankbar für die vielen tollen Menschen, Familie, Freunde und Brüder um mich herum. Dankbar für meinen Earl Grey-Tee und die schönen Momente meines Lebens. Dankbar aber auch für die Schattenseiten, die ich erfuhr, unschöne Momente meiner Jugend die mich trotzdem auf den hoffentlich rechten Pfad gebracht haben, dass was ich sehen musste was Menschen dem Menschen und der Natur antun können, wie sich Krieg anfühlt, das Glück zu haben von da wieder weg zu können und aus dieser Erfahrung gestärkt hervorzutreten, im Bewusstsein, dass es vielen Menschen wirklich wesentlich schlechter geht als wir in den Nachrichten erfahren können , dankbar dafür gelernt zu haben, das meine Probleme Herausforderungen sind die ich lösen kann. Dankbar für so vieles noch mehr, vieles was ich noch nicht erleben und erfahren konnte aber auch dankbar, dass die Geheimnisse dieser Welt so unerschöpflich sind, dass niemals Langeweile aufkommen kann und selbst hundert Menschenleben nicht reichen um sie alle zu ergründen.
Und selbst wenn es gelänge, bleibt doch immer noch das letzte Geheimnis übrig: Was kommt nach dem letzten Atemzug?
Und wenn ich auch wanderte durchs Tal der Todesschatten, so fürchte ich doch kein Unglück, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, die trösten mich.
Psalm 23,4
Bin ich bereit für die Ewigkeit? In diesem Augenblick bin ich es nicht. Aber wenn es irgendwann soweit ist, dann kann ich bis jetzt sagen: Danke, dass ich so leben durfte!
A. S.
Quelle des Titelbildes: Bild von Eduin Escobar auf Pixabay