Verantwortung – Eine Rhapsodie

Verantwortung – Eine Rhapsodie

Wenn für einen Menschen die Zeit beginnt zu fließen und unwiederbringlich das feine Korn durch das Stundenglas rinnt, er sich seiner Existenz bewusstwird, beginnt auch seine Pflicht gegenüber sich selbst und den anderen Teilchen entlang seines Horizonts.
Nicht immer erkennt er klar die Linien, die mit dem Rest des Alls verschwimmen, die ihm zeigen wo die Grenzen enden und beginnen.
Nicht immer vermag er die Farben in seinem Kaleidoskop zu benennen.
Unbeholfen schüttelt er manchmal an der Schneekugel seines Seins und verwundert betrachtet er die Flocken die sich nun über das Abbild des Irdischen verwirbeln.
Den Tanzsaal des Lebens betritt er noch blutig und blind.
Streckt unbeholfen winzige Hände zum Himmel empor.
Versteht noch nicht, was um ihn im wilden Reigen des profanen Karnevals vorbei tobt.
Verlangt nur Eines mit Absolutheit, nicht nur gefütterten Mund und gereinigten Leib, verlangt nach Hingabe und Vertrauen, verlangt Verantwortung für die noch schutzlose Seele.

Und schwebend verliert sich die Verantwortung in sich selbst, ist sich eigen Sinn und Zweck.
Es ist ihr egal, ob sie erkannt oder übernommen wird, denn sie existiert sowieso.

Schreiende Stille, Herbstabend, Lebensabend.
Klopfendes Herz, träg und schwach, Schweiß auf der Stirn, drückend Brust,
liegt der Vater auf dem Bette, hält sich selbst die eigene Hand.
Glasige Augen zur Decke starren, leise fluchend die eigene Vergangenheit anspuckend.
Verantwortung für ein Kind, ein Kind das dem Samen aus seinen Lenden entsprungen ist, diese Verantwortung wollte er nicht.
War Flucht vor der Verantwortung doch der legitime Schritt, Spaß und wogende Brüste doch wichtiger als die helfende Hand zu bieten die viel fester doch das Glas ergreift.
Verneint hat er seine Brut und polternd löste er sich aus dem Bunde, der ihn doch so dringend brauchte.
Nicht sein sollten jetzt die verlorenen Abende, die er doch so sehr ersehnte, wenn er sich selbst ein Fest veranstaltete und unbedarft im Licht der Scheinwerfer sich einen Auftritt gönnte und gierig mit verzogener Fratze die Luftballons umherwarf, welche schön bunt die Sicht auf das triste Grau verbargen, dass er so sehr fürchtete.
So sehr, dass ihm die Brust eng wird, wenn er nur daran dachte, dass sein Handeln seine Zukunft gestalten könnte.
Verantwortung, nein, die wollte er nicht.
Liegt nun das alte Fleisch einsam, nur noch ein Atemzug… ächzen, das Licht erlischt.

Stehen zwei Leiber vor dem Boten des Ewigen,
schwören Treue bis in den Tod,
aus leidenschaftlicher Nacht die Seelen blieben verschlungen,
Kletterrosen gleich, saftige Blüten aus den Stielen ihr tiefrotes Herzblut unterstreichen.
Und Küsse begleiten freudig hüpfend jeden Satz.
Sätze, die noch nicht einfach nur dahingesagt werden und die mit greifbarer Materie erfüllt sind, die noch wiegen und keine Tränen verursachen.
Sanfte Hände sich umschlingen, Begehren die Körper erzittern lässt,
Lippen sich einander sehnen, zweisam nie mehr einsam.
Voller Freude wird versprochen der heilige Eid, zu verbinden beide Herzen.
„Ob Pestilenz oder Weltenfrieden, Treue liebstes Wesen, die schwör ich Dir,
Verantwortung für Dein Wohl, ist der tiefste Wunsch in mir.“
Und Segen besiegelt der Liebenden Bund,
Verantwortung und nicht nur Begehren, so sei es, ist nun der gegenseitige Schwur.
Aus eurem Versprechen sollen lieblich Blüten wachsen, die gegenseitige Verantwortung sei Datteln gleich Euch lebenslang eine süße Frucht.
Sollt Euch immer in Ehren halten und achten einander, auch in bitterer Zeit.
Wo steinig der Weg und dunkel die Zeit, da ist der Moment, wo Eure Liebe geprobt und sich zeigen wird, was Euer Schwur getaugt.

Trommelwirbel, Pfeifenklang, hart der Landsknechte Gang, Hurra tönt es durch die Reihen.
Trommelwirbel, Pfeifenklang, der Senat beschloss den Bauernfang.
Wo Nachbarn dem trotzigen Willen sich nicht beugen,
Senatoren leichtfertig Prügel drohen, die ihre schwächlich speckigen Gesichter nicht bieten können, da, ja da ein Landsknechthurra, sollen es die Pieken richten.
Trommelwirbel, Pfeifenklang, Vorwärts Kamerad, dem Land und dem Willen der Senatoren zum Wohl, Pulverrauch, Bleigeschoß… der Schädel ist nun hohl.
Verantwortung… der Senat übernimmt sie nicht.
Marschierend Leben, letzte Erinnerungen, verwischt.
Und der Körper zerfällt im Staub, aus stumpfen Augen ein letztes Leuchten… die Gedanken an die Liebsten mit den Wolken ziehen.
Verantwortung hat er für sein Land übernommen, wissend, dass sich die Senatoren daheim selbst für ein Denkmal schämen und diskutieren ob sie denjenigen, die für ihre Ziele fernab der Heimat das Blut im Sand vergossen, wenigstens öffentlich Anerkennung zollen sollen.

Greise Hände zitternd stützend auf dem Stock,
den Rücken der Oberflächlichkeit zugedreht und Holz in die Gesellschaft gepflockt, danken trübe Augen vom Star gebeutelt des Leibes Frucht, muss altes Fleisch nicht enden im Altenheim… Sterbeheim.
Darf späten Abend noch unterm Apfelbaum verbringen, muss nicht fürchten lange Flure zu kriechen, im Altenbett zu siechen.
Den Kindern sei Dank, dass Blut wogend durch das Herz flieht, das Auge auch die elterliche Würde sieht, die sonst in der städtischen Gosse verkommt, was nicht Leistung bringt wird nicht gesehen.
„Massenware Mensch, stirb kostenschonend für Dich selbst.“ Schnell war auch das semiotische Dreieck gewirbelt und aus dem Strudel krankhaften menschlichen Denkens entsprang der Begriff des „sozialverträglichen Ablebens“.
Froh ist der Greis, nicht nur eine Kostenstelle im Verbund der Familie zu sein.
Wo sonst drumherum die Marktwirtschaft vorschreibt was ein Leben wert ist und wo kapitalistischer Egoismus vergessen hat, dass es die krummen Rücken sind die seine Existenz ermöglichen.
Die Verantwortung in der eigenen Frucht, schützt vor der Einsamkeit unter Hunderten, sind es die 18 Jahre Verantwortung die sich nun abwechseln im Füttern und waschen.
Die Verantwortung die Würde im Menschen bewahrt.

Tränen, die tropfend in der Steppe Kargnis versiegen, gefallen aus erschöpften Gesichtern die nur noch stumpf wie venezianische Masken aus gepeinigten Leibern starren, wie auch das Blut aus verschmutzten Wunden den Dreck verfärbt.
In der Ferne halt der Ruf der Menschlichkeit, doch zu spüren ist nur die Qual.
Gepeinigte Schatten des Seins, ihre hautüberzogenen Gerippe schleppend durch die Minen, die Mägen aufgebläht, nur noch erbrechen können sie die spärlichen Rationen.
Hackt das Werkzeug in den Stollen, getrieben von den schwachen Armen, mühsam glauben dürre Finger seltene Erden aus dem Dreck.
Über dem Äquator muss es sprießen, muss gepriesener Mammon fließen, Maschinen laufen heiß und erbrechen Lawinen gleich, modernste Technik aus.
Kaufen, konsumieren, nach Anerkennung gieren, wer Hipp sein will muss investieren.
Und wenn der neueste Fortschritt morgen bereits Vergangenheit, so soll er fliegen in hohem Bogen auf den nächsten Misthaufen der Zivilisation. Wo Schiffe mit ihren tiefschwarzen Wolkenmaschinen die zwar noch funktionierende aber eben nicht mehr zeitgemäße Technik abschütten an einen Ort, der von den Bewohnern, die da täglich wenigstens das Gummi von den Kabeln kauen um den Magen zu füllen, Sodom genannt wird.
Stillstand, nein, den will man nicht.
Verantwortung geht nur so weit wie die Arme reichen… wozu reparieren, lässt es sich doch viel gewinnbringender neu produzieren. Und was doch länger halten sollte, wird durch den künstlichen Tod, der Obsoleszenz, gerichtet. Produzieren, konsumieren, Verantwortung wie bei einer Applikation einfach wegwischen.
Konsumbesoffen die Reichen… unterm Äquator, derweil die Leben weichen.

Staub weht durch altes Gemäuer, morscher Flügel Melodien erklingen lässt, tönt es von verstimmten Saiten einen Walzer.
Eine Musik rüttelt an zerfallenden Dielen, und uralter Geist mit zähem Ektoplasma durch das Steinwerk fleucht.
Flüchtige Schritte hallen durch den Saal mit den Erinnerungen, als der Körper sich noch trug.
Und die nun beinlose Tänzerin hat noch einmal ihr Kleid an und schwingt mit imaginären Flügeln, leicht wie ein Windhauch im Kerzenerleuchteten Saal und verzaubert noch einmal ihr Publikum, wissend, dass viele von diesem bereits dem Staube gleich.
Die prima Ballerina, stört es nicht. Als sie, jung an Jahren die Menschen verzauberte, tanzte nicht nur ihr Körper, sondern ihr Herz und mehr noch ihre Seele gab sich ganz der Verantwortung hin, wenigstens für einen kleinen Moment ein kleines Leuchten zu sein für diejenigen, welche sonst in kargen Behausungen den Schatten flüchteten.
Der Hall der Ovationen weht noch als Wind aus längst vergangenen Zeiten und auch die fliegenden Blumen haben unsterbliche Schatten hinterlassen.
In freudigen Tränen spiegelt sich die Sehnsucht. Die Dame blättert in ihren Erinnerungen wie in einem alten Buch. Sie spürt den Geruch der geliebten Gäste.
Ein Moment, der das Herz frei sein und das Alter vergessen lässt.
Sie liebte diese Verantwortung und jeden Abend, in dem sie sich darauf vorbereiten durfte.
Knarzend rollen die Räder nun wieder heim, tragen in sich Zufriedenheit.
Und beim Verlassen des persönlichen Schlosses weht sanfter Wind die Türe zu, nur die Schatten und die Melodie bleiben als fester Geist in den Mauern werden wie der Staub umhergeweht.

Gebeugten Hauptes steht ein Mensch vor dem Richter.
Wie aus der Ferne donnern die Worte der Anklage, fordern Genugtuung für die unbedachte Dummheit im Taumel des Rausches.
War doch so schön glänzend der Sternenhimmel, die Euphorie sich an die Unsterblichkeit klammerte, als die Kunde durch die Massen wog, dass ein Ring an den Finger der Liebsten fand.
Die Füße berührten kaum den Boden vor Freude und schnell befreite man das fette Brauereipferd von seiner Last um diese mit dickem Schwall in den Hals strömen zu lassen.
Unbesiegbar nannte sich jetzt die Jugend, kein Drachen könnte dem widerstehen.
Als dann endlich der Verstand im Brunnen der Nachlässigkeit ersäuft war, und müder Leib das weiche Lager verlangte, da war der Entschluss schnell gefasst, dass die versoffenen Groschen ja doch nicht mehr für eine sichere Reise taugten.
Irgendwie schafften es die Füße in den Wagen und ließen erst wieder Puls spüren als plauzend sich Rumpf mit dem Metall vereinigte und kalt zu Boden fiel.
Erst jetzt begreifen die Windungen in der Knochenhöhle, dass dies Gewitter der Anklage Gehör findet und aller Heroismus der Zukunftsplanung zu matschigem Brei zerfließt.
Der Mensch wollte Verantwortung um Leben zu schenken, jetzt bekommt er sie, weil er Leben genommen.
Statt Samen trägt die künftige Braut nun Tränen schwanger.

Dem Bruder, der das Licht nicht nur bekommen, sondern auch empfangen hat, dem offenbaren sich neue Welten.
Nicht ziellos umherirrend stolpert er durch die Welt, nicht profane Gier nach vermeintlicher Anerkennung, Rang und Prestige bildet neurotische Tentakel die sogar länger als die des Chtulhu sind, nicht Eigennutz ist der Begleiter der Wanderung auf der Suche.
Mit dem Licht kommt auch die Erkenntnis der Verantwortung.
Der Verantwortung sich selbst gegenüber.
Bedacht zu Sein mit dem Geschenk seiner Schöpfung. Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen.
Verantwortung gegenüber seinen Brüdern. Ein wahrer Bruder zu sein und einen stützenden Arm zu bieten, wenn ein Bruder von Schatten heimgesucht wird. Verantwortung der Loge gegenüber und sich bewusst sein, dass er ein Stein des Tempels ist. Zu Wissen das, wo ein Stein im Mauerwerk fehlt, eine Lücke entsteht durch die es zieht.
Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, sich als Freimaurer in der Welt zu bewähren. Not und Elend nicht nur zu erkennen, sondern auch zu handeln mit den Möglichkeiten seiner Werkzeuge.
Verantwortung gegenüber der Schöpfung. Sie zu bewahren, zu versuchen sie zu erkennen und sie zu achten.
Der blinde Bruder wird die Lichter, die wie die Polarlichter als Fäden in der Atmosphäre schweben nicht sehen können. Sie zeigen die Wege und entlang ihres Leuchtens wandelt der Bruder und verstärkt sie mit seinem Licht, wird sein Leib durchzogen von einer Aurora, wird er ein Teil des Ganzen.
Und mit der Zeit wird die Verantwortung auch zu Liebe.
Drückt nicht mehr als Pflicht auf den Schultern, sondern offenbart sich als tiefe Sehnsucht mit dem Wunsch nach Hingabe. Die Verantwortung zeigt sich nicht nur als Werkzeug, sie zeigt sich auch als Federkissen in das man sich auch mal fallen lassen kann, wenn die Kräfte erschöpft sind oder um einfach nur zu genießen.

Im Puls der Allgemeinheit, entgegen der Gemeinheit,
ist Verantwortung auch ein Gefühl der Freiheit.
Bin ich ein Mensch oder bin ich ein Tier?
Die Gabe der Tiefe von Verantwortung, in meinem Haupt und in meinem Herzen… die sagt es mir.
Bin ich bereit mein Handeln erhobenen Hauptes dem Richter zu präsentieren,
Scharfrichters Schwert zu spotten, der Unvernunft zu trotzen,
dem Leben Sinn zu geben, im Puls Materie zu erleben,
im Sein erwacht zu sein, Hoffnung entgegen zu streben und Sternen gleich im Weltenbund festen Stand, zu widerstehen jedem Beben?
Oder soll Lamentation die Geißel der Unvernunft sein?
Eigene Verantwortung übernehmen auch für misslungene Taten ist ein hohes Gut.
Nicht wie ein wütender Pöbel nach dem Schafott brüllen, damit schnell ein Sühneopfer gerichtet wird, dem man Verantwortung in die Schuhe schieben kann, weil ja schließlich immer jemand Verantwortung haben muss für Missstände. Es darf nicht sein, in schwachen Hirnen, dass etwas auch ohne Schuldigen passieren kann. Zu schnell wird ein Hals zerschnitten von der Klinge aus ungelehrten Rachen.
Gebe es die Verantwortung, begierig aufgesogen wie Atem, ist sie zu empfangen doch auch Gewissheit unerschütterlich Leid entgegen zu treten und schwache Hand aus dem Dreck des Zirkus zu reißen bevor gierige Schnauzen aus hässlichen Fratzen sich im Fleisch verbeißen.
Die Verantwortung, Mensch, die wirst Du nicht los.
Sie lässt sich nicht abschütteln wie lästige Fusseln auf dem feinen Zwirn.
Sie lässt sich nicht beugen wie das selbst geschriebene Recht.
Sie lässt sich nicht mit Parfüm versüßen, wenn sie stinkend in die Schuhe schwabbt.
Sie lässt sich auch nicht schönreden mit einem Maul voller Veilchen.
Die Verantwortung, Mensch, dass sei Dir bewusst, hängt wie ein Schatten an Deinem Leben.
Als nach der Verführung verbotene Frucht geerntet wurde, da begann auch die Folge dem Handeln nicht mehr von der Seite zu weichen.
Als ein Bruder seinen Bruder im Streit erschlug, da erstarkte der Griff der Konsequenz.
Wähle darum bewusst und bei vollen Sinnen, wann und wem Du schwörst.
Lieber ist sie ein Geist, der selbst gerufen, als ein Fallbeil im Genick.

A.S.

Bildquelle: Bild von jose_andres95 auf Pixabay